Europäer zahlen um Fünftel zu viel für Medikamente

(c) AP (Michael Probst)
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Die Kommission nennt in ihrem zweibändigen, 602 Seiten starken Abschlussbericht mehrere wettbewerbsfeindliche Usancen. Zweitens kritisiert die Kommission Vereinbarungen zwischen Original- und Generikaherstellern.

BRÜSSEL/WIEN (go/pö). Nach 18-monatigen Recherchen und Razzien bei den weltgrößten Pharmakonzernen ist die Europäische Kommission zu dem Schluss gekommen, dass die Europäer wegen unsauberer Geschäftspraktiken um 20 Prozent mehr für Arzneien zahlen müssen, als sie das bei fairem Wettbewerb tun würden. Als Folge dieser Untersuchung des Arzneimittelsektors kündigte EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes am Mittwoch Kartelluntersuchungen gegen die Pharmafirmen Les Laboratoires Servier, Krka, Lupin, Matrix Laboratories, Niche Generics und Teva an.

Manche Pharmafirmen würden „aktiv versuchen, die Einführung von Generika zu verhindern oder zu verzögern“, sagte Kroes. Generika sind Medikamente, die nach Ablauf des Patentschutzes für Originalpräparate mit derselben Wirkung, aber billiger hergestellt werden. Laut Kommission ist ein Generikum zwei Jahre nach seinem Markteintritt im Durchschnitt 40 Prozent billiger als sein Original.

Missbrauch des Patentrechts

Die Kommission nennt in ihrem zweibändigen, 602 Seiten starken Abschlussbericht mehrere wettbewerbsfeindliche Usancen. Da wäre zum Beispiel die Strategie, bis zu 1300 Patente für eine Arznei anzumelden und es mit einem solchen „Patentdickicht“ Generikaherstellern zu erschweren, die tatsächliche patentrechtliche Schutzwürdigkeit infrage zu stellen. Indiz dafür: Von 2000 bis 2007 gab es um 68 Arzneien 149 patentrechtliche Streitfälle, die vor Gericht landeten (549 weitere wurden einvernehmlich gelöst oder sind noch anhängig). 62 Prozent dieser Fälle gewannen die Generikahersteller.

Zweitens kritisiert die Kommission Vereinbarungen zwischen Original- und Generikaherstellern, wonach Letztere gegen Geld oder sonstige Begünstigungen auf die Einführung einer neuen Arznei verzichten oder sie verzögern. 200 Mio. Euro seien dafür im genannten Zeitraum geflossen. Bei den eingangs erwähnten Kartelluntersuchungen der Kommission, die vor allem Generikahersteller betreffen, dürfte es vor allem um dieses Thema gehen. Das US-Justizministerium sprach sich am Dienstag dafür aus, solche Zahlungen für illegal zu erklären.

Drittens bekrittelt die Kommission, dass die Originalhersteller oft unbotmäßig bei den Arzneimittelbehörden lobbyierten, wenn es um die Zulassung von Generika gehe. 211 solcher Fälle seien bekannt. In 75 Prozent davon monierten die Originalhersteller, das Generikum sei weniger sicher. Die Behörden gaben zwar nur zwei Prozent dieser Einlassungen recht. Die Zulassung der Generika verzögerte sich aber im Durchschnitt um vier Monate, was „zu erheblichen zusätzlichen Einnahmen bei einer Reihe von Originalprodukten geführt“ habe, heißt es im Bericht der Kommission.

Kartellstrafe für Gaskonzerne

Welche Folgen solche Untersuchungen haben, zeigt die Kartellstrafe, die die Kommission am Mittwoch über den deutschen Gaskonzern E.On und die französische GDF Suez verhängte. Sie müssen je 553 Mio. Euro zahlen, weil sie beim Bau der Gaspipeline „Megal“ im Jahr 1975 vereinbart haben sollen, über diese Leitung kein Gas im Heimatmarkt des jeweils anderen Konzerns zu verkaufen. Meinung Oliver Grimm, Seite 27

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2009)

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