Wenn der Chef in der Freizeit anruft

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Auch für niedrig Qualifizierte verschwimmen Arbeit und Freizeit, so die AK.

Wien. Arbeit in der Freizeit kann durchaus eine Erleichterung sein. Zum Beispiel, wenn man das Büro früher verlassen kann, um Zeit mit der Familie zu verbringen und dafür noch eine Spätschicht einlegt. Vor allem besser qualifizierte Arbeitnehmer profitieren im Beruf von flexiblen Arbeitszeiten. Aber diese Menschen meint Reinhard Raml nicht, wenn er von der zunehmenden Vermischung von Arbeits- und Freizeit spricht. „Wenn sich der Bauarbeiter am Abend zu Hause die Nachrichten anschaut, will er nicht, dass sein Chef anruft“, sagt Raml zur „Presse“.

Der Marktforscher des Ifes-Instituts hat gemeinsam mit dem Sora-Institut für die Arbeiterkammer (AK) Oberösterreich den „Arbeitsklima-Index“ erstellt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass 35 Prozent der Befragten in ihrer Freizeit etwas für die Arbeit erledigen: Sei es E-Mails bearbeiten oder mit dem Vorgesetzten telefonieren. Oder, wie eben im Fall des Bauarbeiters, Werkzeuge wegräumen oder nach Dienstschluss noch etwas in die Firma zurückbringen.

Auch im Handel sei das gang und gäbe. Zum Beispiel wenn nach Ladenschluss noch die Abrechnung gemacht werden muss, diese 20, 30 Minuten aber nicht mehr bezahlt würden. Stark betroffen seien auch das Gesundheitswesen (Krankenschwestern, Pflegepersonal, Ärzte) und das Geld- und Versicherungswesen. „Die Entgrenzung ist grundsätzlich ein Problem, für niedrig Qualifizierte aber noch viel mehr“, so Raml.

(c) DiePresse

18 Prozent der Befragten gaben an, auch im Urlaub arbeitsbezogene Dinge zu erledigen, 17 Prozent auch im Krankenstand. Vier von fünf Führungskräften arbeiten in der Freizeit. „Aber das Phänomen der Vermischung von Arbeit und Freizeit ist längst in der Masse angekommen“, so Raml.

800.000 haben All-in-Vertrag

Die AK sieht das Problem vor allem in der wachsenden Zahl von All-in-Verträgen. Bereits 800.000 Arbeitnehmer in Österreich hätten einen Vertrag, der alle Mehrleistungen pauschal abdeckt (24 Prozent der Befragten), 2013 waren es noch 500.000. Weitere 16 Prozent haben eine Überstundenpauschale. 46 Prozent der Führungskräfte haben einen All-in-Vertrag, aber laut AK auch jeder fünfte Hilfsarbeiter.

Haben einfache Angestellte, Facharbeiter oder Hilfsarbeiter solche Verträge, sei das laut Johann Kalliauer, Präsident der AK Oberösterreich, „Etikettenschwindel“, und beim Nachrechnen bemerke man oft, dass man weniger verdient, als man sollte. Ein All-in-Vertrag sei erst ab einem Monatsbruttogehalt von 4000 bis 5000 Euro angebracht, so Kalliauer. (bin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2016)

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