Kutschenbau: Von der Liebe zur gefahrenen Tradition

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Es lässt sich schwer abschätzen, ob die gut betuchten Kutschensammler, die die Werkstatt von Wagenbauer Florian Staudner frequentieren, den Meister in seiner Liebhaberei übertreffen. Porträt eines Oberlaaer Unikats.

Ursprünglich wollte Florian Staudner zum Zirkus gehen. Da sei es bunt, schön, da habe es ein bestimmtes Flair, der ihn als Kind anzog. Heute ist er Kutschenbauer – „nicht so weit weg vom Urwunsch“, wie Staudner findet. Schließlich habe so eine Kutschenfahrt auch etwas Zirzensisches, Fröhliches, jedenfalls alles andere als Trockenes an sich.

Grundsätzlich setzt der gelernte Drechsler, der vor 35 Jahren das Nischenhandwerk des Kutschenbauers für sich entdeckte, aber noch früher an in seiner Erzählung darüber, wie es so kam, wie es dann kam. „Es war eine schöne Kindheit“, sage er immer, wenn ihn die Leute in seiner aus der Zeit gefallenen Oberlaaer Werkstatt am Südrand Wiens nach dem singulären Werdegang fragen. Sein Vater, ein Tierarzt, habe ihm immer jegliche Freiheit gelassen, alle seine Ideen unterstützt. Wollte der Bub etwa ein Indianerzelt bauen, nahm er ihn mit in das völkerkundliche Museum, damit er sah, wie so ein Zelt originalgetreu aussehen muss. Da die ganze Familie schon immer in Oberlaa gelebt hatte, sprich halb auf dem Land umgeben von Hunden, Katzen, Enten, Ochsen und natürlich Pferden, dauerte es nicht lang, bis sich sein Onkel eine Kutsche zum Spazierenfahren kaufte. Mit dem Fahren kamen die Reparaturarbeiten – und schließlich der Wunsch, das Gewerk des Wagners richtig zu lernen.


W wie Richard Wagner. Der heute 59-Jährige nahm sich eine lange Auszeit, zog auf Lehr- und Wanderjahren durch Deutschland, Österreich und die Schweiz und suchte die letzten alten Meister auf – „alle heute schon gestorben“ –, die ihm ihr Wissen über die Kunst des traditionellen Kutschenbaus mündlich weitergaben. Als das nicht mehr reichte, durchforstete er Bibliotheken nach Material. Studien über den Komponisten Richard Wagner und Personenwaagen fielen ihm in Massen in die Hände. Das gesuchte Handwerk, das in den Vierzigern mit der flächendeckenden Motorisierung ein abruptes Ende fand, hatte dagegen kaum Niederschlag in der Literatur gefunden.

Wobei Staudner eine radikale Trennung zwischen Tradition und Moderne macht. Aus seiner Werkstatt rollen nur Kutschen, Schlitten und Coupés, die von ihm und seinen zwei Mitarbeitern nach historischem Vorbild von Grund auf gebaut oder restauriert wurden. Modernere Gefährte mit Scheibenbremsen, Hydrauliksystem und Metallkorpus, wie sie etwa Fahrsportler oder Wiens Fiaker verwenden, werden nicht angenommen. Dementsprechend überschaubar ist der Kundenkreis, der bei Staudner anfertigen lässt. Nicht zuletzt ist das auch eine Frage des Budgets: „Bei 10.000 Euro beginnen wir zu rechnen“, sagt er. So eine Kutsche käme von den Kosten her an einen Neuwagen heran. Das sei nichts für den kleinen Mann. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass der kleine Mann für gewöhnlich nicht die Remise besitzt, in der er eine nostalgische Kutschensammlung halten könnte. Der Preis ist aber angesichts des Arbeitsaufwands nicht weiter verwunderlich. Wenn man Staudner fragt, wie lang er für gewöhnlich braucht, um ein Modell von Grund auf zu bauen, hört man von Wochen, Monaten, ja manchmal gar einem Jahr, das bis zur Fertigstellung vergehen kann.

Herzstück der Arbeit ist dabei die Anfertigung einer Werkzeichnung des Wagenkastens. Im Maßstab 1:1 nimmt das Zeichenbrett, auf dem der gewölbte Kutschenbauch in seiner Lebensgröße abgebildet ist, leicht eine ganze Wand der Werkstatt ein. Anschließend wird in vielen kleinen Schritten an Felgen, Rädern, Achsen und dem Holzkorpus gebastelt. Stolz auf den Beruf schwingt mit bei dem Mann, der sich selbst als „24-Stunden-Kutschenbauer“ bezeichnet, wenn er von den vielseitigen Anforderungen seines Handwerks erzählt. Das Wortende „-bau“ – Schiffsbau, Klavierbau oder eben Kutschenbau – bekämen im deutschen Sprachraum nur Berufe verliehen, die mehrere Gewerke unter einem Dach vereinen, erklärt er. Für diese Königsdisziplinen reiche es nicht aus, „nur“ Tischler oder Schlosser zu sein. Für einen wie Staudner, der während seiner Drechslerlehre nebenbei die Abendschule für Maschinenbau besuchte, weil er sich untertags spielte, darf's ruhig ein bisschen mehr von allem sein.

Wenn man durch seine lang gestreckte Werkstatt in dem einstöckigen Oberlaaer Familienhof spaziert, merkt man, was das bedeutet: An die Tischlerei reiht sich die Schlosserei, reiht sich die Näherei, reiht sich die Schmiede und reiht sich die Lackiererei. Jedem Raum haften die ganz typischen Gerüche seines Metiers an. Düfte von Holz, Leim, Leder und Lack wechseln sich ab – während der Gast das Gefühl hat, in einer längst untergegangen geglaubten Zeit zu versinken.

Es dauerte nicht lang, bis Staudner, der einzige Kutschenbauer Wiens und einer der wenigen verbliebenen in ganz Europa, seine Stammklientel beisammenhatte, die sich die aufwendige Handarbeit leisten kann und darüber hinaus über den nötigen Stauraum für die fertige Luxuskarosse verfügt. Durch Zufall war er zu Beginn seiner spezialisierten Laufbahn von einem Wiener Großindustriellen und Liebhaber traditioneller Kutschen mit 40 Modellen in der hauseigenen Remise entdeckt worden. Allein diese versorgten ihn 15 Jahre lang mit Arbeit. Freunde und Kollegen seines Großkunden folgten. Bald hatte sich der Oberlaaer über die Landesgrenzen hinweg in der Branche einen Namen gemacht.

Heute stehen die von ihm originalgetreu nachgebauten und restaurierten Stücke in Privatsammlungen und Museen in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Amerika. Zurzeit bevölkern seine Werkstatt die Einzelteile einer Kutsche, die ehemals dem britischen Königshaus gehörte. Ausrangiert, versteigert und halb verfallen erstand sie ein Privatsammler, der sie nun nach den Originalplänen überholen lässt. Zum vorbereitenden Studium fragte Staudner extra um eine Spezialaudienz außerhalb der Museumsöffnungszeiten in Londons königlichen Stallungen an – und bekam sie. Das sei der Vorteil daran, wenn man wie seine Werkstatt eine solche Alleinstellung in Europa besitze.


Der Mann für den Ausnahmefall. Handwerklich diffizile Aufträge wie dieser sind nach seinem Geschmack: „Was andere können, brauche ich nicht zu machen.“ Auch sonst hat der Kutschenbauer seine Prinzipien. Kürzlich wollte einer bei ihm einen Pferdeomnibus bestellen, mit Platz für 30 Fahrgäste und einem Elektromotor. „Ich bin ein Ästhet. Ich will schöne Sachen machen“, verwehrt er sich gegen solche Anfragen, die die Tradition in seinen Augen mit modernen Elementen verwässern. Nicht zuletzt wolle er die fertigen Originale ja auch fotografieren und in seinen Fotoband aufnehmen können. Man merkt schon: Nicht nur die Käufer sind hier wahre Liebhaber. Der größte von allen ist wohl Staudner selbst. Wenn er von seinem Beruf spricht, erzählt er eigentlich von seinem größten Hobby: „Arm müssen die Leute sein, die darauf warten, dass sie um halb fünf nach Hause können“, konstatiert er.

Auch abseits der Werkstatt schlägt sich bei ihm die Liebe zur Arbeit nieder. Urlaub habe er zwar seit ewigen Zeiten keinen mehr genommen, dafür ist zu viel zu tun. Aber wenn er verreisen würde, dann hätte die Destination mit Sicherheit etwas mit Kutschen und Pferden zu tun. In seiner wenigen Freizeit ist er stilecht in Stresemann und Melone als Juror bei Traditionsfahrtenwettbewerben zugegen, führt Touristen auf „Spaziergängen aus der Sicht eines Wagenbauers“ durch Wien oder lenkt – wenig überraschend – selbst eine Kutsche durch die niederösterreichische Landschaft.

Was aber, wenn er, der den beinahe ausgestorbenen Berufsstand ins Heute herüberrettete, irgendwann gezwungenermaßen in Pension geht? Dann könne nur jemand seine Werkstatt übernehmen, der „genauso einen Narren daran gefressen hat wie ich“. Anders ließe sich ein wirtschaftlich doch recht unrentabler Nischenbetrieb nicht fortführen. Auch habe er nie die Absicht gehabt, seine Kinder dazu zu verpflichten, ihm in diesem derart spezifischen Berufsfeld nachzufolgen.

Da schlägt doch stark der Einfluss des Vaters durch, der seinem Sohn damals genauso freie Hand bei der Berufswahl ließ. „Ich hab's halt für mich gemacht“, sagt Florian Staudner. Und das ist doch alles, was am Ende einer Karriere zählt.

Zur Werkstatt

Die Wagnerei von Florian Staudner befindet sich seit 35Jahren im alten Familienhof in der Oberlaaer Straße 47.

Neben der Reparatur und Neuanfertigung traditioneller Kutschen, Coupés und Schlitten können Kunden ihre Fahrzeuge dort auch servicieren lassen.

Darüber hinaus bietet Kutschenliebhaber Staudner Seminare zum Thema Traditionsfahren, Drechseln und Werkzeichnen an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2016)

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