Hoteliers gehen die Lehrlinge aus

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Der Tourismus ist in einem Imagetief. Nirgends sonst gibt es mehr offene Lehrstellen als Bewerber. Neue Ausbildungsmodelle und branchenfremde Arbeitskräfte sollen den Abfluss stoppen.

Wien. „Mich trifft immer halb der Schlag, wenn einer aus der Hotelfachschule sagt, er will Rechtsanwalt werden, weil er im Sommerpraktikum ausgenützt wurde“, sagt Gerhard Messinger, Geschäftsführer der List-Hotelgruppe. Er spricht für eine ganze Branche, die hofft, das anhaftende Stigma des von ihr ausgebeuteten Lehrlings irgendwann abzustreifen. „Wir zehren vom schlechten Image, das wir uns früher aufgebaut haben“, sagt Michaela Reitterer, Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV). Der Tourismus kämpft seit Jahren mit dem Problem des ausbleibenden Fachkräftenachwuchses: 2014 blieben österreichweit im Fremdenverkehr 1325 Lehrstellen offen, 2015 waren es laut ÖHV 1485. Eine mit einer halben Million von den Hoteliers gestemmte Werbekampagne soll das Bild nun zurechtrücken. Die vor allem an Schüler um die 14 gerichtete Werbung könnte aber auf andere Hürden stoßen, als nur das schlechte Image, das man sich aufgebaut hat.

„Weniger schwarze Schafe“

„Die Arbeitszeiten sind besser geworden, und es gibt weniger schwarze Schafe“, sagt Josef Neuherz, Haubenkoch im Hotel Das Triest in Wien. Gleichzeitig würde der finanzielle Druck auf seine Branche, „die eine Centklauberei ist“, stetig wachsen. In seiner Küche bildet er für die List-Hotelgruppe seit Jahrzehnten Lehrlinge aus. Der Grundtenor im Tourismus stimmt mit Neuherz' Betrachtung überein: Eingehaltene 40-Stunden-Wochen, mehr Transparenz bei der Zeitaufzeichnung, bessere Kollektivverträge als in anderen Berufen hätte man heute. Dennoch: Parallel zum branchenübergreifenden Lehrlingsschwund fiel auch im Tourismus die Zahl der Auszubildenden in den vergangenen Jahrzehnten beständig. 1980 zählte Österreich noch mehr als 194.000 Lehrlinge, aktuell etwas weniger als 110.000. Im Tourismus gingen die Lehrlingszahlen seit 2004 gar um 30 Prozent zurück, fielen 2014 erstmals unter die 10.000er-Marke. Einerseits liegt das an den geburtenschwachen Jahrgängen, durch die man nicht mehr auf dieselbe Masse interessierter 15-Jähriger zurückgreifen kann wie 1980. Andererseits – und das wiegt in den Augen der Hoteliers schwerer – passen Hotellerie und Gastronomie offenbar nicht mehr in eine moderne Lebensplanung. „Die Tendenz geht dahin, dass man den einfachen Weg gehen will. Das ist die Gastro mit ihren Abend- und Wochenenddiensten nicht“, formuliert es Erwin Schurtl. Wie Neuherz im Wiener Triest betreut er im Parkhotel Pörtschach am Wörthersee seit Jahrzehnten Lehrlinge. Überall entlang des Sees würden Stellen annonciert, jeder zehnte Mitarbeiter in seinem Service sei aus Ungarn. Anders ginge es heute nicht mehr.

ÖHV-Präsidentin Reitterer betreibt das Wiener Boutiquehotel Stadthalle. „Junge Menschen haben heute höhere Ansprüche an ihr Wohlbefinden, dafür verzichten sie sogar auf Geld, wohnen gerne in WGs“, sagt sie. Dieser Sinneswandel sei aber nicht immer förderlich. Oft müsse sie die Frage stellen: „Möchtest du wirklich nix lernen?“ Daher gehe die Hoteliervereinigung die Bewerbung der dualen Ausbildung verstärkt an. Auch die List-Hotelgruppe versucht, aus der Not eine Tugend zu machen. Man setze nicht nur auf die klassische Lehrlingsausbildung. Die Gruppe fokussiere sich verstärkt auf Berufsumsteiger und Spätberufene, betont Geschäftsführer Messinger.

Fischen bei den anderen

Neben einer Erwachsenenlehre, in der Mitarbeiter ihre Lehrabschlussprüfung nachholen können, werden heuer auch die ersten Trainees fertig, die man auf das relativ neue Berufsbild der Reservierungsfachkraft hintrimmt. Messinger ist überzeugt: „Der Gast wird immer seltener Reisebüros brauchen, um irgendwo hinzufahren. Diese Aufgabe übernimmt mittlerweile das Hotel – die Schnittstelle befindet sich an der Rezeption.“ Dort, wo man sich mittlerweile ständig mit Online-Buchungsplattformen abstimmen und Gästeströme lenken muss, sucht er Leute mit Berufserfahrung und Wirtschaftskenntnissen. Nicht unbedingt jedoch mit einer Vergangenheit im Tourismus. Er denkt vielmehr auch an Bankangestellte. Auch Reitterer prognostizierte am ÖHV-Kongress den Wegfall von 25.000 Bankjobs in den kommenden Jahren – und dachte laut darüber nach, dort zu fischen.

Im Kampf gegen veränderte Gesellschaftsstrukturen und Lebensbilder läuft alles auf die Mobilisierung – oftmals Umlenkung – des im Land vorhandenen Fachkräftepotentials hinaus. Hilfe von außen nimmt man aber dennoch gern an. Auf politische Forderungen wie jüngst von Burgenlands Landeshauptmann, Hans Niessl, den Arbeitsmarktzugang für osteuropäische Arbeitskräfte zu beschränken, reagiert man verschnupft. Reitterer: „Bei einer Grenzschließung machen die Österreicher ja nicht plötzlich den Job. Würden sie das tun, hätten wir das Thema ja gar nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2016)

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