Maut: Budgetlöcherstopfen mit dem Öko-Schmäh

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In Brüssel gibt es ernsthafte Pläne, eine flächendeckende kilometerabhängige Maut auch für Pkw einzuführen. Das dafür vorgeschobene Verursacherprinzip ist freilich eine simple Ausrede für eine reine Geldbeschaffungsaktion.

In der EU-Kommission in Brüssel sind derzeit eine Reihe von Beamten damit beschäftigt, die sogenannte Eurovignettenrichtlinie zu überarbeiten. Die regelt im Wesentlichen die Lkw-Maut in der EU.

Bitte nicht gähnen: Auch wenn Sie keinen Zwölftonner fahren, könnte sich das Ergebnis dieser Beamtenanstrengung ordentlich in der Brieftasche bemerkbar machen. Es ist nämlich durchaus nicht mehr unwahrscheinlich, dass auch private Pkw in die Richtlinie rutschen und dass am Ende eine flächendeckende, streckenabhängige Maut für alle Fahrzeuge auf allen europäischen Straßen steht.

Die österreichische Europaabgeordnete Claudia Schmidt (ÖVP), die im Jänner kommenden Jahres aller Voraussicht nach zur Berichterstatterin des Europäischen Parlaments zur Überarbeitung dieser Richtlinie bestellt wird, ist jedenfalls jetzt schon alarmiert: Es gebe wegen der deutschen Mautpläne jetzt erstmals eine Mehrheit in der EU für die Einbeziehung des Pkw-Verkehrs in die Richtlinie, meinte sie zur „Presse“. Sollte das geschehen, dann würden wohl auch einheitliche Mindestsätze für die kilometerbezogene Maut festgelegt. Vorerst auf Autobahnen, später dann wohl auf allen Straßen.

Anzunehmen, dass sich diese Sätze an Ländern orientieren werden, die die kilometerabhängige Autobahnmaut bereits haben. In Frankreich sind das beispielsweise mindestens sieben Cent pro Kilometer. Klingt nicht viel. Rechnet man das aber auf die 26 Milliarden jährlich auf den heimischen Autobahnen abgespulten Pkw-Kilometer um, dann wären das etwas mehr als 1,8 Mrd. Euro. Also ziemlich genau dreimal so viel, wie die Asfinag derzeit aus Pkw-Vignetteneinnahmen lukriert.

Natürlich kann man versuchen, eine Verdreifachung (mindestens) der bestehenden Pkw-Maut zu argumentieren. Umwelt, Verursacherprinzip, Ausbau der Infrastruktur etc. Das tut beispielsweise die EU-Kommission, die die Mauteinnahmen gern für den Ausbau der europäischen Verkehrsinfrastruktur verwendet sehen will. Immerhin gehen die Kostenschätzungen dafür von einem Finanzbedarf von einer halben Billion Euro bis 2030 und von drei Billionen Euro bis 2050 aus.

Man kann es aber auch, wie Schmidt, als „reine Geldbeschaffungsaktion“ von Staaten betrachten, die die Infrastruktur „als reine Melkkuh“ betrachten, „um einen ineffizienten Staat aus dem 20. Jahrhundert irgendwie am Laufen zu halten“. Und man liegt damit wohl näher an der Wahrheit.

Denn mit der Zweckbindung, die die EU anstrebt (und die im Übrigen von den meisten Mitgliedsstaaten abgelehnt wird), ist das so eine Sache. Die wird normalerweise ein paar Jahre aufrecht erhalten. Danach fließen die Gelder ins allgemeine schwarze Budgetloch – und die Politik macht sich auf die Suche nach neuen „zweckgebundenen“ Abgaben, um dem Verursacherprinzip endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Österreich hat ja reiche Erfahrung damit. Beispielsweise mit den mehr als vier Mrd. Euro an jährlichen Mineralölsteuereinnahmen, die ursprünglich zweckgebunden waren, jetzt aber für anderweitige Klientelpolitik abgezweigt werden.

Insgesamt sind weitere Steuern und/oder Abgaben unter dem Titel „Verursacherprinzip“ zumindest in Österreich reine Pflanzerei: Aus straßenverkehrsbezogenen Steuern und Abgaben (Mineralölsteuer, Nova, Kfz-Steuer, motorbezogene Versicherungssteuer, Mehrwertsteuer auf Treibstoffe und Autos etc.) nimmt der Finanzminister rund 13 Mrd. Euro im Jahr ein. Also ein Vielfaches dessen, was für Infrastruktur ausgegeben wird. Dazu kommen noch mehr als 1,8 Mrd. Euro, die die Asfinag aus Pkw- und Lkw-Mauten lukriert. Auch die sind mehr als ausreichend – jedenfalls ziemlich genau doppelt so viel, wie die Gesellschaft für ihr Bauprogramm zu Ausbau und Erhaltung der Autobahnen und Schnellstraßen ausgibt.

Es gibt also keine Finanzierungslücke beim Ausbau der Infrastruktur. Es werden nur die dafür ursprünglich vorgesehenen Gelder abgezweigt, um anderweitig staatliche Ausgabenorgien zu finanzieren. Die angebliche Finanzierungslücke nach dem Verursacherprinzip, die auch der EU-Kommission als Vorwand für immer heftigere Mautpläne dient, ist in Wirklichkeit ein Gespenst, das immer dann losgelassen wird, wenn es um die Erfindung neuer Belastungen geht.

Ähnlich verlogen ist auch der „Umweltaufschlag“ auf die Lkw-Maut, der in der geplanten Richtlinie möglicherweise verdreifacht werden wird: Dessen Erlös wird ja nicht für Umweltmaßnahmen verwendet. Und der Umwelt selbst dürfte es ziemlich egal sein, ob Transporteure ein paar Cent mehr oder weniger pro Kilometer bezahlen.

Wobei die bloße Nennung des Wortes „Umwelt“ bei vielen offenbar zu einer sofortigen Abschaltung der für Ökonomie zuständigen Region im Gehirn führt: Derzeit läuft im Hintergrund ja eine Diskussion über eine deutliche Anhebung der Mineralölsteuer auf Diesel. Unter anderem deshalb, weil sich Österreich in gewohnter Musterknabenmanier wieder einmal besonders krasse Stickoxideinsparungsziele gesetzt hat, die offenbar nur durch eine deutliche Reduktion des Anteils an Dieselfahrzeugen erreichbar ist.

Eine deutliche Verteuerung des Treibstoffs per Steuererhöhung würde den sogenannten Tanktourismus stark einschränken. Der bringt dem Finanzminister derzeit deutlich über eine Milliarde Euro im Jahr. Das kostet zwar auch CO2-Strafzahlungen (weil in Österreich getankter Treibstoff wegen der in diesem Punkt reichlich vertrottelten Kyoto-Rechnerei auch dann dem Land zugerechnet wird, wenn der Treibstoff im Ausland verfahren wird), der Saldo ist aber für die Finanz deutlich positiv. Stoppt man per Steuererhöhung diesen Tanktourismus, dann fehlen dem Finanzminister ein paar hundert Millionen, ohne dass deshalb ein einziges Gramm CO2 weniger in die Atmosphäre gerät. Ein Musterbeispiel an ökonomischer Intelligenz. Macht aber nichts, man kann sich das ja anderswo wieder hereinholen, nicht wahr.

Damit kein Irrtum entsteht: Das Verursacherprinzip ist nicht nur im Verkehr eine sehr sinnvolle und wichtige Sache und sollte deshalb viel stärker als jetzt zum Einsatz kommen. Das gilt auch für Umweltsteuern bzw. -abgaben mit echtem Öko-Lenkungseffekt.

Wenn man aber sieht, dass Staaten mit einem ziemlich dreisten Verursacher- und Ökoschmäh reines Budgetlöcherstopfen kaschieren wollen, dann hört sich der Spaß wohl auf.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2016)

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