Gute Möbel brauchen Weile

Wittmann- Geschäftsführer Hartmut Roehrig auf einem Klassiker von Josef Hoffmann.
Wittmann- Geschäftsführer Hartmut Roehrig auf einem Klassiker von Josef Hoffmann.Clemens Fabry
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Die Möbelmanufaktur Wittmann blickt auf eine 120-jährige Geschichte zurück. Viel Liebe zum Detail prägt jeden einzelnen Arbeitsschritt noch heute.

Zwischen Einfamilienhäusern und Bäumen taucht ein gänzlich unspektakuläres Gebäude auf. Es ist das der Firma Wittmann. An ihr minimalistisches Entrée hat sie eine ganze Fabrik angeschlossen. Die Größe des Areals erschließt sich auf den ersten Blick kaum. Lärm? Keiner zu hören. Von Fließbändern und überdimensionalen Maschinen fehlt ebenfalls jede Spur.

Wer von Hand arbeitet, macht das oft leise und in aller Regel mit Bedacht. 115 Mitarbeiter gehen hier fünf Tage die Woche ans Werk. Fast alle von ihnen stammen aus der Umgebung. Eltern und auch ihre Kinder. Die Bindung an den Betrieb ist oft stark.

In Etsdorf am Kamp erzeugt Wittmann seine Möbel. Es ist ein Unternehmen mit langer Tradition, das einst als Sattlerei begann. 1896 gegründet und in Familienhand, ist die Zufriedenheit des Kunden oberstes Gebot. Ein Muss, vielleicht sogar mehr als bei anderen. Denn da, wo der Kunde tief in die Tasche greift, sind gute Ergebnisse Pflicht. „Es gibt vielleicht drei bis vier Hersteller auf der Welt, die handwerklich auf dem Niveau arbeiten wie wir“, sagt Wittmann-Geschäftsführer Hartmut Roehrig.

Die Firma Wittmann wurde viele Jahre von Ulrike Wittmann und ihrem Mann, Heinz Hofer-Wittmann, in vierter Generation geführt. Aus dem operativen Geschäft hat sich das Paar aber weitgehend zurückgezogen. Doch Ulrike Wittmann betreut als Geschäftsführerin noch Design und Entwicklung. Strategische Mitbestimmung ist der Familie wichtig, es gibt einen guten Austausch mit ihr, sagt Roehrig.

Nur bestellte Waren werden von Wittmann gefertigt. „Alles, was Sie hier sehen, ist bereits an Kunden verkauft“, ergänzt René Hentschke, der den Bereich Technik bei Wittmann leitet. Zwischen 8000 und 10.000 Möbel verlassen die Manufaktur jährlich. Rund sechs Wochen dauert der Entstehungsprozess. „Wenn es schneller gehen muss, dann geht es schneller.“

Es ist die Schlosserei, die ein Möbelstück erst zum Leben erweckt. Sie macht das, was es bei anderen Herstellern nicht gibt: aus Metallstücken und Schrauben ein Grundgerüst herstellen. Bei anderen ist es aus Holz oder Kunststoff und meist zugekauft, sagt Hentschke. Bei Wittmann ist es anders, der Vorteil einer Manufaktur. „Wenn jemand sein Sofa zehn Zentimeter schmäler haben will, dann machen wir es eben schmäler. Wenn der Sessel breiter sein soll, dann machen wir ihn breiter.“ Ein Anspruch, den die industrielle Herstellung so nicht erfüllen kann. „Bei uns ist alles eine Maßanfertigung.“ Daher sei man auch nicht von technischen Einschränkungen abhängig.

Nachdem der Schlosser am Werk war, warten unzählige Metallrahmen auf ihre weitere Verarbeitung. Für Wittmann kommt nun der nächste logische Schritt: die Begurtung. Die Gurte sollen dem Kunden nicht wie im Auto Sicherheit bieten, sondern Komfort möglich machen. Dafür werden die Bänder über Sitz- und Liegeflächen gespannt. Im Anschluss werden Federkerne darauf platziert. Nun erfolgt die Beklebung. Über 40 verschiedene Schaumstoffqualitäten werden dafür verarbeitet. Noch fehlt das Leder oder der Stoff, um das Möbelstück einzukleiden. Stühle kommen plötzlich in Rosa, Weiß, Türkis oder Grün daher. „Wir haben aus dem Polstern eine Kunst gemacht“, sagt Hentschke. An jenen Stellen, an denen etwa eine Fläche mehr belastet werde, verstärkt man den Schaumstoff, in der Mitte werde es dafür weicher. „Man kann dem Verschleiß damit gut entgegenwirken.“ Zumindest 15 bis 20 Jahre sollten die Möbel nämlich problemlos halten.

Nun kommt der Zuschnitt. Unzählige Stierhäute liegen in einer kleinen Halle übereinander. Mal ist das Leder weicher, mal ist es härter. Mal ist es robuster, mal empfindsamer. Mal schwarz, mal grün oder braun. Für Kind und Katze ist nicht alles geeignet. Der Kunde kann dieses Wissen nicht haben, seine ausführliche Beratung ist deshalb wichtig.

Wer sich mit Leder nicht anfreunden kann, hat die Möglichkeit, auf 200 unterschiedliche Stoffe auszuweichen. Wem das nicht genüge, so Hentschke, könne auch seinen eigenen Stoff mitbringen. Doch das ist mit Risken verbunden. „Denn der Stoff kann ungeeignet sein, dann raten wir davon ab, ihn zu verwenden.“ Schließlich muss das Material Belastungen standhalten.

Die Näher bringen nun das zusammen, was zusammengehört. „In der Branche sagt man: Wenn man sehen will, wie eine Naht gemacht wird, geht man zu Wittmann“, erzählt Roehrig. Er muss es ja wissen. Der Franzose ist zwar erst seit Dezember im Unternehmen. Doch er kennt das Geschäft. Zuvor war er etwa bei Ligne Roset und Walter Knoll tätig.

Das Herzstück der Manufaktur, wie Wittmann es bezeichnet, ist die Polsterei. Hier werden Haut und Skelett zusammengeführt, damit am Ende ein echter Wittmann entsteht. Und so reihen sich Stuhl um Stuhl und Couch um Couch in der allerletzten Fertigungshalle.


Kennzeichnung. Fehler? Die passieren natürlich, erzählt Hentschke. „Aber nicht häufig“, und wenn, dann würden sie vor der Auslieferung korrigiert. Wer ungenau gearbeitet hat, lässt sich leicht nachvollziehen. Denn jeder Mitarbeiter ist dazu angehalten, seinen Arbeitsschritt zu kennzeichnen. „So lässt sich auch 30 Jahre später noch zurückverfolgen, wer etwas hergestellt hat“, sagt Hentschke. Und nicht nur das: „Jeder fühlt sich persönlich für sein Möbelstück verantwortlich und sorgt dafür, dass es perfekt wird.“

Wer sich für einen Wittmann entscheidet, hat sich dies im Vorfeld wahrscheinlich gut überlegt. Ein teures Stück zu kaufen und sich bald von ihm zu trennen, das ist das Konzept des Unternehmens nicht. Die Möbel sind zeitlos gestaltet. Sie sollen auch noch in ferner Zukunft gefallen, nicht bloß einem Modetrend folgen. Ein Grund, warum es sich lohne, die Stücke aufarbeiten zu lassen, sagt Roehrig.

So kehren Teile aus der Vergangenheit gar nicht so selten an ihren Geburtsort zurück. Dass man dafür frühere Beschäftigte aus dem Ruhestand holt, kann durchaus vorkommen. „Sie zeigen uns dann, wie etwas gemacht wurde.“ Günstig ist eine solche Kompletterneuerung nicht. Sie kostet 70 bis 80 Prozent vom Neupreis. Die Verbindung des Kunden zu seinem Inventar steht offenbar über den Dingen.

Neben den eigenen Möbeln fertigt Wittmann auch Stücke eines berühmten Österreichers an – jene Josef Hoffmanns. Man sei von der Stiftung dafür als Einziger autorisiert. Hoffmanns Möbel werden nach wie vor in der ursprünglichen Produktionsweise gebaut, wenngleich sie durchaus effizienter hergestellt werden könnten. Die Qualität aber ist besser als damals, der Sitzkomfort auch.

In Zahlen

1896 wurde das Unternehmen Wittmann als Sattlerei gegründet. Heute stellt es Möbel her. Wittmann befindet sich in Familienbesitz.

70 Prozent beträgt der Exportanteil.

115 Mitarbeiter sind in der Manufaktur beschäftigt.

16 Millionen Eurobetrug der Umsatz zuletzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2016)

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