Wifo fordert noch mehr Umverteilung

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Die Markteinkommen gehen stärker auseinander, der Wohlfahrtsstaat nivelliert nicht mehr ganz so gut wie früher. Ein Grund für Vermögensteuern? Die Agenda Austria hält dagegen.

Wien. Erst kam eine Entwarnung, nun folgt ein dezenter Alarm. Schon 2009 untersuchte das Wifo die gut geölte Umverteilungsmaschinerie. Das Fazit damals: Bei den Primäreinkommen, die heimische Haushalte durch Arbeit, verzinstes Kapital und Pensionen erzielen, gibt es zwar recht große Unterschiede. Aber durch Steuern und vor allem durch Sozialtransfers gleicht der Wohlfahrtsstaat diese Unterschiede so stark aus, dass die tatsächlich verfügbaren Einkommen außer in Skandinavien in keinem Industriestaat so gleich verteilt sind wie in Österreich.

Nun hat das größte Wirtschaftsforschungsinstitut Österreichs die Übung im Auftrag des Sozialministeriums wiederholt. Und die Ergebnisse sind nicht mehr ganz so beruhigend. Die Schere öffnet sich bei den Markteinkommen stärker. Und der Wohlfahrtsstaat schafft es nicht mehr, das Ausmaß der Nivellierung konstant zu halten. Das zeigt sich am Vergleich der Gini-Koeffizienten, des üblichen Maßes für die Ungleichheit (siehe Grafik).

Einnahmen wenig progressiv

Wobei: Für die ganze breite Mittelschicht bleibt der Anteil am Kuchen fast gleich. Nur das unterste Dezil verliert stark, während das oberste stark gewinnt. Ganz aktuell sind die Daten nicht: Die Studie von 2009 verglich die Zeitpunkte 2000 und 2005, die neue betrachtet die Entwicklung von 2005 bis 2010. Der Grund: 2010 änderte sich die Berechnung, weshalb Vergleiche mit früher nur bis dahin möglich sind (ein Vergleich von heute zu 2010 auf neuer Basis soll bald folgen).

Was ist also zu tun? Schon früher betonte das Wifo: Umverteilung funktioniert in Österreich weniger über das Steuer- und Abgabensystem, das nicht sehr progressiv wirkt. Das mag verwundern, wenn man nur an die stark progressive Einkommensteuer denkt. Aber da Steuern auf den Konsum (wie Mehrwertsteuer oder Tabaksteuer) für alle gleich hoch sind und Arme einen höheren Anteil ihres Einkommens für Konsum ausgeben, wirken diese regressiv. Das gilt auch für die hierzulande besonders hohen Beiträge zur Sozialversicherung, die für „Höchstbeitragszahler“ gedeckelt sind (freilich auch bei der Gegenleistung).

Erst durch seine Ausgaben, also Sozialtransfers und Sachleistungen, verteilt der Staat kräftig von oben nach unten um. Die Empfehlung von Wifo-Forscher Alois Guger: höhere Vermögensteuern, wie es sie auch in Großbritannien und den USA gibt. Sie würden den progressiven Effekt der Einnahmen verstärken. Also noch mehr Umverteilung, trotz der hohen Steuer- und Staatsquote und nachlassender Wirksamkeit?

Das hieße „die Dosis der falschen Medizin erhöhen“, meint Monika Köppl-Turyna von der Agenda Austria. Der liberale Thinktank ist zwar „nicht grundsätzlich“ gegen Vermögensteuern – wenn man dafür die effektive Belastung der Arbeit auf das britische Niveau senkt und dann „den Bürgern Zeit lässt, Vermögen aufzubauen“. Die „teuflische Kombination“ aus skandinavischer Arbeitsbesteuerung und britischer Vermögensteuer wäre „eine Katastrophe“. Zudem seien im EU- und OECD-Schnitt, mit dem das Wifo vergleicht, auch die regressiven Konsumsteuern höher.

Uneins über Ursachen

Aber der springende Punkt ist für die Ökonomin ein anderer: Statt Symptome zu lindern, sollte die Politik besser die Ursachen für die stärkere Spreizung bei den Primäreinkommen bekämpfen. Freilich können beide Institute die Gründe dafür nicht gewichten. Für Guger vom Wifo geht es vor allem um „mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse“ und „den steigenden Druck auf niedrige Löhne“ durch Konkurrenz aus Ostländern.

Das findet Köppl-Turyna nicht plausibel, weil davon – Stichwort Kollektivvertrag – nur wenige betroffen seien. Sie betont vielmehr den technologischen Fortschritt, der ganz unten Arbeiter durch Computer ersetzt und ganz oben für stark steigende Einkommen sorgt. Dagegen helfe nur bessere Ausbildung für alle, um die Chancengleichheit zu erhöhen – auch für die steigende Zahl von Migranten. Köppl-Turyna erinnert auch an die zunehmende Alterung: Wenn viele Haushalte, die am Ende der Berufslaufbahn gut verdienen, plötzlich nur mehr ihre Pension überwiesen bekommen, müsse die Ungleichheit steigen. Ihr Rezept dagegen lautet: länger arbeiten.

Und dann gibt es noch gesellschaftliche Trends: Ehepartner finden stärker als früher innerhalb der gleichen Schicht zueinander. Viele Frauen, die schon Vollzeit gearbeitet haben, schalten ab dem ersten Kind auf Teilzeit zurück, was das Haushaltseinkommen senkt. Auch Männer reduzieren ihr Arbeitspensum. Beide Gruppen, wie Umfragen zeigen, in neun von zehn Fällen freiwillig. Hier, schließt Köppl-Turyna, erübrigen sich politische Maßnahmen. Denn die Bürger zeigen mit ihren Entscheidungen, dass sie eine dadurch steigende Ungleichheit in Kauf nehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2016)

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