Wiener Börse denkt nun westwärts

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Wiener Börse(c) APA/ROBERT JAEGER
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Die Wiener Börse galt lange als das Tor nach Osteuropa. Mit dem neuen Vorstand soll sich das ändern. Erwartungen hat man auch an die Politik.

Es gab mehr als 50 attraktive Bewerber. Am Montag dieser Woche hat sich der Aufsichtsrat der Wiener Börse schließlich für Christoph Boschan als neuen Vorstandsvorsitzenden entschieden. Es war jedoch nicht der gebürtige Deutsche, der am gestrigen Freitag seine neue Strategie darlegte. Sondern der Aufsichtsratsvorsitzende, Willibald Cernko, und sein Stellvertreter, Wienerberger-Chef Heimo Scheuch.
Mit Ende Mai laufen die Verträge der bisherigen Börse-Chefs, Birgit Kuras und Michael Buhl, aus. Die beiden werden nun von einem Dreiervorstand ersetzt, den Boschan anführt. Und das gleich für einen Zeitraum von fünf Jahren. In der Vergangenheit kamen Börsevorstände stets aus dem heimischen Finanzsektor, die Börse gehört immerhin den Banken und den Unternehmen. Das ist nun anders. Für Cernko kein Problem: „Wir wollen mit Kompetenz überzeugen, nicht mit Beziehungen.“ Daher habe man jemanden ausgesucht, der durch seine Leistungen überzeuge. Boschan war bisher Geschäftsführer der Börse Stuttgart und Vorstand des Finanzdienstleisters Euwax.

Für die beiden Kapitalvertreter ist jedenfalls klar, wo die Reise des Marktplatzes künftig hingehen soll: Die Wiener Börse wurde in der Vergangenheit stets als Tor zum Osten wahrgenommen, das soll sich nun ändern. Man wolle den globalen Fokus in den Vordergrund stellen und die Börse als europäischen Marktplatz definieren. Ein wohl längerer Prozess, wie auch Cernko sagt.

Vorarbeiten dafür wurden bereits geleistet, wenngleich teils unfreiwillig. 2014 platzte die Fusion mit der Börse Warschau, mit der man lang Gespräche geführt hatte. Im Vorjahr trennte man sich schließlich von den Beteiligungen an den Börsen Laibach und Budapest. Übrig blieb die Börse Prag, die im Besitz der gleichen Holding ist, der auch die Wiener Börse gehört. Ändern soll sich daran nichts: „Auf Wien und Prag konzentrieren wir uns auch in Zukunft“, sagt Cernko.

Dass der Standort Wien lebensfähig ist, davon ist Scheuch überzeugt: „Die Börse ist ein wesentlicher Bestandteil einer Volkswirtschaft.“ Viele österreichische Unternehmen sind Weltmarktführer, doch es gelte auch für Klein- und Mittelbetriebe ein positiveres Klima zu schaffen. Das Thema Start-ups ist dem Aufsichtsrat ebenfalls ein Anliegen. Cernko erwartet, dass sich „der Vorstand hier inhaltlich einbringt“. Dass der neue Bundeskanzler, Christian Kern, bereits erste Signale in diese Richtung setzte, wertet Cernko als positives Zeichen. Kerns Frau, Evelyn Steinberger-Kern, ist auf dem Gebiet selbst aktiv. Sie betreibt einen Start-up-Inkubator.

Stolz auf Unternehmen sein

Das Ansinnen der Aufsichtsräte ist freilich auch ein Appell an die bisher eher kapitalmarktfeindliche österreichische Politik. „Politik schafft keine Arbeitsplätze“, sagt Scheuch. Der Wienerberger-Chef wünscht sich ein anderes politisches Bewusstsein und will, dass „die Regierung stolz auf heimische Unternehmen“ ist. Für den Ex-Banker Cernko wiederum schließen sich der Besitz von Aktien und die Ausübung einer politischen Funktion nicht aus. „Ich habe keine Aktien, ich bin kein Spekulant“, habe man früher stets zu hören bekommen, moniert Cernko. Er fordert daher eine offene Diskussion, was das Thema Finanzmarkt betreffe. Auch Kammern und Gewerkschaften sieht er hier in der Pflicht. Vom neuen Börsenvorstand erwartet Cernko, dass sich dieser mit konkreten Ideen an die Politik wendet.

Was die Regierung bisher vom Wiener Kapitalmarkt hielt, bewies sie erst zu Jahresbeginn. Da trat eine Erhöhung der Kapitalertragssteuer von 25 auf 27,5 Prozent in Kraft. Diese gilt für alle Wertpapiere, nicht aber für Sparbücher. Kein besonderer Anreiz also, um Privatanleger in Scharen an die Börse zu locken. Ihr Anteil am Kapitalmarkt ist mit mauen vier Prozent ohnehin sehr gering. Auch dieses Thema soll Boschan vorantreiben. Die Beteiligung an Unternehmen sei schließlich kein Teufelszeug, so Cernko.
Der 38-Jährige Deutsche kann da möglicherweise einiges an Erfahrung mitbringen. Die Börse Stuttgart gilt immerhin als „die Privatanlegerbörse“ in Deutschland. (nst)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2016)

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