Job: Jeder Zweite sucht länger als ein Jahr

Workman
Workman(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
  • Drucken

Österreich hat zwar mit 1,6 Prozent im EU-Vergleich nur wenige Langzeitarbeitslose, aber dafür viele Frühpensionisten, ergab eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Berlin/Wien. Die Falle schnappt nach etwa einem Jahr zu: Wer länger als zwölf Monate ohne Arbeit ist, dessen Chancen schwinden rapid, einen Job zu finden. Verschärft wird die Lage durch geringe Qualifikation und/oder höheres Alter. Zehn Millionen Menschen waren 2015 EU-weit auf Arbeitssuche – jeder Zweite seit mehr als einem Jahr, ergab eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen an der Erwerbsbevölkerung (Langzeitarbeitslosenquote) betrug 4,3Prozent – das ist fast doppelt so hoch wie vor Ausbruch der Krise 2008.

Generell zeichnet die Studie „Long-term Unemployment in the EU: Trends and Policies“ ein düsteres Bild des Arbeitsmarktes: Die Unterstützung für Arbeitssuchende habe in vielen Ländern abgenommen. In den 28 EU-Ländern hätten sich die Jobchancen für Langzeitarbeitslose allein von 2013 auf 2014 halbiert – von 34 auf 18 Prozent.

Für schlecht Qualifizierte ist das Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit am stärksten gestiegen. Auch Personen über 55 Jahre haben nur geringe Chancen, wieder einen Job zu finden. EU-weit ist der Anteil der über 55-Jährigen unter den Langzeitarbeitslosen (13 Prozent) deutlich höher als unter den Kurzzeitarbeitslosen (acht Prozent). Führend ist Finnland (29 Prozent) und – was überraschend ist – Deutschland (26 Prozent).

Denn Deutschland ist Musterschüler: Es ist das einzige Land, in dem die Langzeitarbeitslosenquote seit 2008 deutlich gesunken ist. Und zwar von 3,7 auf 1,9 Prozent. Noch niedriger – bei 1,6 Prozent – liegt die Quote der Langzeitarbeitslosen in Österreich. 2008 lag sie aber bei nur einem Prozent. Ein weiteres Spezifikum Österreichs: Gerade Länder mit geringer Langzeitarbeitslosigkeit haben einen vergleichsweise hohen Anteil an nicht erwerbstätigen Personen aufgrund von Erwerbsminderung und/oder Frühpension. Dies treffe auch auf Österreich zu, heißt es.

Nicht ganz überraschend ist hingegen, dass die beiden Länder mit der höchsten Zahl an Langzeitarbeitslosen die Krisenländer Griechenland (17,7 Prozent) und Spanien (10,8 Prozent) sind. Dort haben sich die Quoten im Verlauf der Krise etwa verfünffacht.

Aber selbst in Deutschland, wo ein Beschäftigungsrekord den nächsten jagt, profitieren Menschen, die länger ohne Job sind, kaum von der guten Wirtschaftslage. Mehr als 43 Prozent aller Arbeitslosen in Deutschland suchen schon länger als ein Jahr nach einem neuen Job, knapp ein Drittel ist sogar mehr als zwei Jahre arbeitslos. Überproportional betroffen sind laut der Bertelsmann-Studie Ältere und Geringqualifizierte. So hat jeder dritte Langzeitarbeitslose keinen Berufsabschluss. 26 Prozent sind älter als 55 Jahre, der EU-Schnitt liegt in dieser Altersgruppe bei 13 Prozent.

„Jobverlust im Alter wird in Deutschland zunehmend zu einer Falle, aus der sich die Betroffenen nicht befreien können“, sagte Aart de Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann-Stiftung. Für den schwer vermittelbaren harten Kern der Langzeitarbeitslosen fordern die Studienautoren mehr Möglichkeiten der öffentlich geförderten Beschäftigung, um sie am Arbeitsmarkt und sozialen Leben teilhaben zu lassen.

Schwieriger Berufswechsel

Dass auch der Aufschwung keine Besserung brachte, liegt nach Einschätzung der Autoren am generellen Wandel der Arbeitswelt: Manche Branchen, etwa den Bausektor, traf die Krise mit besonderer Wucht. Den dort Gekündigten falle es mit ihren spezifischen Berufsprofilen schwer, in andere Sektoren wie etwa den Gesundheitssektor zu wechseln. Der Trend zur Höherqualifikation erschwere dies noch.

Torsten Lietzmann, Experte vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg, bestätigt weitgehend die Bertelsmann-Studie. Bei rund der Hälfte der Langzeitarbeitslosen passe die Qualifikation nicht, bei der anderen Hälfte spielten das Alter und gesundheitliche Probleme eine Rolle. Die Gruppe der Langzeitarbeitslosen sei auch sehr heterogen. „Die Arbeitsvermittler müssen schon sehr genau hinschauen, um für die sehr unterschiedlichen Fälle Lösungen anbieten zu können“, sagte Lietzmann. (eid/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.