Verschlankung der Umverteilungsmaschine

Grundeinkommen fuer alle - basic income for everyone
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Schlaraffenland oder notwendige Entbürokratisierung? Die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen ist nach dem Schweizer Volksentscheid noch lange nicht vom Tisch.

Die Schweizer haben das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) in einer Volksabstimmung mit Dreiviertelmehrheit abgelehnt. Gleichzeitig in einer parallel durchgeführten Umfrage aber mit ebenso überzeugender Fast-Dreiviertelmehrheit (70 Prozent) die Ansicht vertreten, dass dieses, in welcher Form auch immer, innerhalb von 25 Jahren in der Schweiz Realität sein wird.

Das zeigt zweierlei: Die Schweizer Wahlbürger lehnen erstens wenig fundierte soziale Experimente ab. Sie machen sich zweitens aber durchaus realistische Gedanken über mittelfristige gesellschaftliche Entwicklungen.

Mit der Schweizer Volksabstimmung sind Ideen über ein Grundeinkommen nämlich keineswegs vom Tisch. In Europa wird ja von Belgien über Holland bis Finnland (wo ein konkretes Experiment geplant ist) weiter heftig diskutiert.

Und soeben schwappt die Debatte auf die USA über, wo Andy Stern, früher Gewerkschaftsführer und jetzt Senior Fellow an der Columbia Universität, mit einem soeben erschienenen Buch („Raising the Floor: How a Universal Basic Income Can Renew Our Economy and Rebuild the American Dream“) für Diskussionsstoff sorgt.

Und zwar durchaus konstruktiv. Die Amerikaner sind hier nämlich, wie so oft, ein schönes Stück pragmatischer als die Europäer. Dort wird das BGE demgemäß nicht als bloße linke Spinnerei abgetan, sondern gilt als durchaus auch konservatives Konzept.

Schließlich hat schon Friedrich August von Hayek, das liberale Schreckgespenst der europäischen Linken, in seinem „The Road to Serfdom“ eine Art Basiseinkommen vorgeschlagen. Managementpapst Peter F. Drucker hat sich dieser Idee in den Vierzigerjahren angeschlossen, Milton Friedman hat in den Sechzigerjahren ein bedingungsloses Grundeinkommen in Form einer negativen Einkommensteuer ventiliert. Und der konservative US-Präsident Richard Nixon hat, wenn auch erfolglos, versucht, das zu verwirklichen.

Die Idee dahinter hat mit dem liberalen „Weniger Staat“-Dogma zu tun: Wenn man die in den USA existierenden 126 verschiedenen bundesstaatlichen Sozialprogramme in einem jedem Bürger zustehenden Grundeinkommen aufgehen lässt, dann wird eine auch in den Staaten vergleichsweise groß aufgeblasene Sozialbürokratie zur Administration all dieser Programme überflüssig.

Zum Entbürokratisierungsmotiv kommt jetzt enormer Druck vom Arbeitsmarkt dazu. Der Grund heißt Digitalisierung oder schlicht Industrie 4.0. Diese vierte industrielle Revolution unterscheidet sich von den drei vorangegangenen dadurch, dass nicht mehr ein personalintensiver Sektor durch einen anderen personalintensiven Sektor abgelöst wird, sondern dass Maschinen und Software generell menschliche Arbeit übernehmen.

Das wird eine Reihe von neuen, hochqualifizierten Jobs schaffen. Aber Experten gehen eben auch davon aus, dass für jeden neu geschaffenen Job mehrere alte wegfallen. Konkret: Boston Consulting rechnet mit Job-Verlusten von 25 Prozent bis 2025, eine Oxford-Studie sagt den Wegfall von 47 Prozent aller Arbeitsplätze bis 2035 voraus, und McKinsey meint, dass die Roboterisierung insgesamt 45 Prozent aller Jobs kosten könnte, plus zusätzlichen 13 Prozent durch die Implementierung von künstlicher Intelligenz.

Wenn das auch nur halbwegs so kommt, dann implodieren die auf Finanzierung durch Steuern und Abgaben auf Arbeit aufgebauten Sozialsysteme samt deren Staaten. Dann kommt es zu Massenverelendung samt sozialen Unruhen. Oder, wie es die Amerikaner wieder einmal pragmatischer ausdrücken: Dann gibt es nicht mehr genug Massenkaufkraft, um die konsumorientierte westliche Wirtschaft am Laufen zu halten.

Es wird also zu einem umfassenden Umbau der Steuersysteme weg von der Arbeitsbesteuerung kommen müssen, und es wird irgendwann wohl auch einen Ersatz der zahllosen Sozialtransfers durch ein mehr oder weniger einheitliches Grundeinkommen geben.

Nicht so bald zwar, denn derzeit besteht noch keine Notwendigkeit. Aber wir sollten uns langsam mit dem Rahmen befassen, bevor jene die Themenführerschaft übernehmen, die in einer simplen Verbreiterung der Sozialversicherungsbemessung namens Maschinensteuer die Zukunft sehen.

Was an Grundeinkommensmodellen bekannt ist, hat durchgehend zwei große Schwachpunkte: Die Finanzierung hält, wenn ein solches Grundeinkommen halbwegs zum Leben reichen soll, einer näheren Analyse nicht stand. Und es ist ungeklärt, wie es ausgestaltet sein müsste, um im Bereich der Niedrigeinkommen nicht jegliche Motivation zur Arbeitsaufnahme zu zerstören. Denn das Schlaraffenland werden auch Roboter nicht finanzieren können.

Die Wirtschaftspolitik sollte sich mit dieser absehbaren Entwicklung aber bald intensiver befassen. Und zwar abseits ideologischer Killerphrasen wie der ökonomisch fatalen Maschinensteuer. Buchautor Stern meint angesichts des Spektrums historischer Grundeinkommen-Theorien, dies könnte „die einzige große Idee des 21. Jahrhunderts sein, die von Linken und Rechten gleichermaßen unterstützt wird“. Wenn man es vernünftig macht, muss man anfügen.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2016)

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