In Stoff verpacktes Fernweh

Symbolbild Stoff
Symbolbild Stoff(c) Clemens Fabry
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Von der Landärztin in Obertraun zur Weltenbummlerin und Geschäftsfrau: Roswitha Mayer betreibt seit eineinhalb Jahren das Geschäft Schöne Dinge mit Geschichten im ersten Bezirk.

Angefangen hat alles auf einer Reise nach Madagaskar. Die praktische Ärztin Roswitha Mayer begeisterte sich für Dinge und deren Geschichten – gemeint sind damit lokale Waren, vor allem Schals, Tücher, Blusen und auch Schmuck. Jedes Stück, meint Mayer, erzählt eine Geschichte, und die möchte sie weitergeben. Bevor sie ihr Geschäft in der Plankengasse in der Wiener Innenstadt eröffnete, arbeitete die vierfache Mutter in Obertraun bei Hallstatt. Aber nach so vielen Jahren fühlte sie sich wie in einem Kessel eingesperrt.

„Es war mir irgendwann zu eng, ich war im Dauerdienst“, erzählt sie. Mayer liebt es zu reisen, fand aber zwanzig Jahre keine Möglichkeit dazu. Als ihre Söhne älter waren und fast alle studierten, zog sie mit ihrem jüngsten zurück in ihre Heimatstadt Graz und arbeitete in einem Krankenhaus. Die neu gewonnene Freiheit ermöglichte ihr Reisen, etwa nach Neuseeland, Indien und Madagaskar.

Zuerst habe sie die mitgebrachten Erinnerungsstücke zu Hause gesammelt. „Ich wollte die Sachen zeigen und teilen. Und wenn schon, dann an einem schönen Ort.“ Als sie 2013 von ihrer Madagaskar-Reise zurückkam, stieß sie bei einem Besuch in der Wiener Innenstadt auf ein leeres Geschäft mit einem Schild „Zu vermieten“. „Es war ein echter Glückstreffer!“

In ihrem Laden ist es vor allem bunt. Überall hängen Schals und Blusen aus den unterschiedlichsten Stoffen. Auf orientalischen Hockern stapeln sich die gemusterten Stücke. Kleine Dekorationselemente schmücken die Regale und ein Tischchen in der Mitte des Raums. Freundin und Mitarbeiterin Karin Kassal nimmt die einzelnen Stücke in die Hand und erzählt über die Stoffe und die verschiedenen Webetechniken. „Dieses Tuch ist aus Bambus und Seide gemacht“, erklärt sie. Sie hält ein weißes Tuch mit bunten Blumen und Punkten hoch. Es kommt aus Indien.

Dort hat sich Mayer, wie sie sagt, ihre zweite Heimat aufgebaut. Als sie 2007 das erste Mal das Land besuchte, reiste sie kreuz und quer herum. „Indien ist meine große Liebe“, erzählt sie. Mittlerweile reist sie zwei- bis dreimal pro Jahr nach Indien. Noch bevor sie ihr Geschäft in der Innenstadt öffnete, kaufte sie sich ein Haus in Mamallapuram, an der Koromandelküste in Indien. In dem Ort, der zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, öffnete sie ein Guesthouse. Eine befreundete indische Familie betreibe es nun für sie.

Die meisten Produkte, die die 64-Jährige in Wien verkauft, kommen aus Indien. „Indien lebt von Geschichten, die Händler erzählen sie“, meint Mayer. „Zum Teil sind sie aber haarsträubend gelogen. Sie versuchen in irgendeiner Form, auf sich aufmerksam zu machen.“ Ein Händler habe ihr gesagt: „Mit der Lüge ist es wie mit dem Salz – ein bisschen macht das Essen würziger. Und die Lüge macht die Geschichte interessanter.“ Kassal ruft lachend von hinten: „Aber bei uns ist schon alles echt!“

Nähzentrum im Projekt Sambhali. Mayer kauft ihre Ware nicht nur bei Händlern, sondern vor allem von sozialen Projekten, in denen die Kleidungs- und Schmuckstücke hergestellt werden. Bei einer ihrer Indien-Reisen in Jodhpur lernte sie einen jungen Inder kennen, der eine NGO für Frauen und Kinder gründete. Im Projekt Sambhali geht es um die Entwicklung und Ermächtigung von Frauen und Mädchen in Indien. Dort werden ihre sozialen Fähigkeiten gefördert, und sie werden in Hindi, Englisch und Mathematik unterrichtet. In einem Nähzentrum können sie außerdem Nähen lernen und anschließend ihre Stücke verkaufen. Mittlerweile gibt es 17 solcher Projekte.

Mayer erzählt von einer Designerin aus London, die etwa für das Nähzentrum Kleidung entworfen hatte. Sie nimmt eine Bluse von der Kleiderstange. Das Muster lässt schnell auf einen indischen Hintergrund schließen, aber der Schnitt hat etwas Außergewöhnliches. In der gleichen Stadt lernte Mayer auch zwei Brüder kennen, mit denen sie seither Geschäfte macht. Als sie ihr Lager zum ersten Mal sah, wunderte sie sich vorerst über das Chaos. „Da waren unglaubliche Sachen, sie sind so kreativ.“ Im Unterschied zu vielen anderen Händlern, berichtet Mayer, würden die Brüder großen Wert auf Qualität legen. Sie ließen sich für ihre Stücke immer neu inspirieren und würden selten die gleichen nachproduzieren. So sei es auch schwierig, auf Wunsch von Kundinnen bei ihnen nachzubestellen. „Sie haben so viel Freude daran, etwas Neues zu kreieren, kein Stück gleicht dem anderen“, erzählt Mayer und zeigt auf einen Bildschirm, der eine Diashow von Fotos ihrer Reisen abspielt. Auf einem Foto sieht man kleine Weberschiffchen, für jede Farbe eines. Den dabei entstandenen Schal bringt Kassal und zeigt auf das aufwendige Muster, das mit den vielen Weberschiffchen gewebt wurde.

Als sich Mayer für ihren Berufswechsel entschied, fragte sie ihre Familie nicht lang um Erlaubnis. „Am Anfang waren sie nicht glücklich, sie hatten kein Verständnis. Mittlerweile glaube ich, beginnen sie, stolz darauf zu sein.“ Zwei ihrer Söhne sind jetzt auch Ärzte – und einen hat, wie seine Mutter, das Fernweh gepackt. Er lebt jetzt in Argentinien. Obwohl Mayer unglaublich gern Ärztin war, vermisst sie ihren Beruf nicht. In Wien genieße sie die Unabhängigkeit. Bei ihrer neuen Tätigkeit gehe es nicht nur darum, etwas zu verkaufen. Sie möchte zwischen den Ländern, in denen ihre Produkte hergestellt werden, und Wien vermitteln. Und zeigen, wie es hinter den Kulissen aussieht: „Ich hätte es nie für möglich gehalten, was für unglaubliche Geschichten sich dahinter verbergen.“ Sie sei keine Person, die ein Projekt eröffnen oder karitativ tätig sein würde, aber mit ihrem Geschäft möchte sie auf ihre persönliche Art und Weise etwas beitragen.

auf einen Blick

Geschäft. Schöne Dinge mit Geschichten. In der Plankengasse 1 im ersten Bezirk gibt es Tücher, Schals und Blusen in vielen verschiedenen Stoffen.

Soziale Projekte. Viele Stücke kommen aus Indien. Etwa aus dem Projekt Sambhali. Es unterstützt Frauen und Mädchen.

www.schoenedingemitgeschichten.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2016)

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