Wer wusste von den ÖBB-"Kellerakten"?

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Wer wusste von den illegalen Aufzeichnungen der Krankendaten? Die Staatsanwaltschaft wird bei den ÖBB ermitteln. Der Aufsichtsrat konnte sich nicht zu personellen Konsequenzen durchringen.

Wien (jaz). Fast acht Stunden tagte am Dienstag der Aufsichtsrat der ÖBB-Holding. Das zentrale Thema: Der Datenskandal um Krankenstände im Konzern. Dabei stellte sich heraus: Schon in der Aufsichtsratssitzung der ÖBB im Mai 2008 war die Angelegenheit ein Thema gewesen – nachdem Eisenbahner-Gewerkschafter Wilhelm Haberzettl auf angebliche Missstände aufmerksam gemacht hatte. Die Konsequenz: Der damalige ÖBB-Personalchef Franz Nigl wurde beauftragt, einen Bericht über die Angelegenheit zu verfassen.

Nigl soll daraufhin gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Philipp Ita ein so genanntes „Erledigungsschreiben“ für den Vorstand verfasst haben. Inhalt: An der Sache sei nichts dran, sie sei „erledigt“.

Dies führte in der Aufsichtsratssitzung zu heftigen Debatten. Mehrere Aufsichtsräte sollen die Ablöse von Nigl und Ita verlangt haben. Ein Ansinnen, dem Aufsichtsratschef Horst Pöchhacker nicht nachzukommen bereit war.

Also einigte sich das Gremium darauf, dass eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft übermittelt werden soll. Verfasst werden soll sie von Arbeitsrechtlerin Sieglinde Gahleitner.

Bereits am Montag wurde eine Sachverhaltsdarstellung von den Grünen eingebracht. Die Staatsanwaltschaft wird sich in den nächsten Wochen nun damit befassen, wer von den illegalen Aufzeichnungen der Krankendaten wusste. Klar ist, dass zumindest die bis zum Mai 2008 im offiziellen SAP-System der Bahn getätigten Aufzeichnungen weitgehend bekannt waren. So gab es angesichts einer Klage der Gewerkschaft bereits damals entsprechende Medienberichte.

Kosten abgewälzt

Unklar ist, wer alles von den seit Mai 2008 geführten „Kellerakten“ wusste. So haben einige Personalmanager nach dem Verbot der Aufzeichnungen im SAP-System durch die Datenschutzkommission die Aufzeichnungen in selbst erstellten Dateien weitergeführt.

Dass auch eine staatsanwaltschaftliche Ermittlung zu erstaunlichen Ergebnissen kommen kann, zeigt ein anderer Fall im Umfeld der ÖBB. So wurden 2001 und 2002 bei den ÖBB, der Post und der Telekom Austria 4300 Beamte aus gesundheitlichen Gründen in Frühpension geschickt. Diese Fälle wurden daraufhin vom Bundeskriminalamt (BKA) auf ihre Rechtmäßigkeit untersucht. Durch die Pensionierung wurden die Personalkosten auf das Pensionssystem abgewälzt.

Die BKA-Fahnder stellten bei den Gutachten, die den Pensionierungen zugrunde lagen, Auffälligkeiten fest. So wurde von den Ärzten immer exakt jene Krankheit festgestellt, die den Arbeitnehmer für den angestammten Arbeitsplatz untauglich machte. Bei Postbus-Chauffeuren waren dies Rückenleiden, bei Briefträgern Bandscheibenvorfälle. Mitarbeiter, die am Computer arbeiteten, litten plötzlich an „Sehstörungen“.

Die Staatsanwaltschaft ließ die Fälle von einem Gerichtsmediziner stichprobenartig überprüfen. Laut „Falter“ kam dieser zum Schluss, dass in mehr als der Hälfte der untersuchten Fälle „von einer geringen Wahrscheinlichkeit einer richtigen Beurteilung“ auszugehen ist. Bei einem Viertel gebe es eine „mittlere Wahrscheinlichkeit“.

Dennoch wurden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Jänner des Vorjahres eingestellt. „Die aufgezeigten Zweifel an der Richtigkeit“ seien „keine hinreichende Grundlage“, um eine „vorsätzliche Manipulation“ der Gutachten beweisen zu können, hieß es bei der Staatsanwaltschaft.

AUF EINEN BLICK

Die Staatsanwaltschaft wird aufgrund des Datenskandals bei den ÖBB ermitteln. Garantie für ein Ergebnis gibt es nicht. So blieben auch Frühpensionierungen, die laut Gutachten medizinisch nicht nachvollziehbar waren, ohne Konsequenzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2009)

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