Kanzler Kern zitiert den Ökonomen Stiglitz und betont, dass das Problem beim europäisch-kanadischen Handelsabkommen nicht der freie Handel sei.
Die SPÖ sei mit ihrer kritischen Einstellung zum europäisch-kanadischen Handelsabkommen Ceta in Europa kein Einzelfall: "Es gibt massive Bedenken auch in Slowenien, Rumänien, Ungarn, Belgien. Dass Hunderttausende demonstrieren, zeigt ja auch, dass nicht nur wir so empfinden", sagte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) im Interview mit der "Tiroler Tageszeitung" (TT/Freitagausgabe). Die Diskussion sei "obskur und so eine Spin- und Propagandageschichte geworden", weil es gar nicht um den freien Handel gehe, so Kern. Österreich habe eine exponierte Volkswirtschaft und brauche natürlich die internationale Kooperation, also auch den freien Handel. "Das ist ganz wichtig für uns."
Das Problem bei diesem Abkommen liege darin, dass es über den Freihandel hinaus eine Reihe von anderen Dingen regle, bis zur Frage, ob Strom, Gas, Abwasser usw. liberalisiert werden müssen oder nicht. "Und das sind die Fragen, bei denen wir klare Lösungen haben wollen, damit uns das Abkommen nicht die Möglichkeit nimmt, demokratisch legitimierte politische Entscheidungen zu treffen", betont Kern.
Kern verweist auf Stiglitz
Kern verweist auf den Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, der gesagt habe: "Das, was Großkonzerne sich im politischen Prozess nicht holen konnten, das versuchen sie jetzt durch die Hintertüre der Handelsabkommen zu erreichen. Und Stiglitz ist ja auch nicht gerade mit Blindheit geschlagen", so der Bundeskanzler.
Die Nachverbesserungen müssten rechtsverbindlich sein und über die umstrittenen Sondergerichte müssten die nationalen Parlamente entscheiden und nicht die EU-Kommission, so Kern. Ein diesbezüglicher Vertrag könnte unterzeichnet und zugleich mit Ceta ratifiziert werden.
Im Gespräch mit dem kanadischen Premier Justin Trudeau sei klar geworden, dass man bei allen kritischen Punkten nicht weit auseinanderliege. Er sei optimistisch. "Jetzt muss man auf der europäischen Ebene entschlossen agieren. Wenn man aber glaubt, dass Österreich sich beeindrucken lässt, wenn alle bei uns intervenieren, dann täuscht man sich möglicherweise", betont Kern. Er drohe damit nicht mit einem Veto, sondern er sage, "wir haben ein Problem und müssen es lösen".
Kern rechnet mit Lösung
Wenn man wolle, gehe sich eine Lösung auch bis zur geplanten Unterzeichnung von Ceta aus. "Wenn man nicht will, geht sich's nicht aus". Dann wäre es schwierig. "Aber ich gehe davon aus, dass es sich ausgeht. Er sei auch davon überzeugt, dass seine Meinung in der Europäischen Union mehrheitsfähig sei.
Ceta sei besser als die bisherigen Abkommen und bringe in einigen Punkten wirklich Fortschritte. Auf dieser Basis gehe es jetzt um Ergänzungen, die mit gutem Willen machbar seien. "Mein Vorschlag ist: Lösen wir die offenen Probleme, dann wird die Handelspolitik der EU eine deutlich höhere Zustimmung finden, als wenn man drüberfährt", so Kern.
Auch Lopatka geht von Kern-Zustimmung aus
ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka geht indes davon aus, dass Kanzler Kern dem Handelsabkomen letztlich zustimmen wird. Es herrsche Einigkeit der Experten, dass es sich um eines der am besten verhandelten Abkommen unter den vielen bereits existierenden handle, sagte er. Vorbehalte der Mitgliedsstaaten seien berücksichtigt.
So seien - unter anderem auf Bestreben von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) - Klarstellungen getroffen worden, dass öffentliche Dienstleistungen uneingeschränkt aufrechterhalten blieben und es überhaupt keine Möglichkeit für einen Zwang zu Privatisierungen gebe. Auch für den Arbeitnehmerschutz und für Umweltstandards gelte dies, betonte der Klubchef in einer Pressekonferenz am Freitag.
(APA)