Mit einem einseitigen Schritt hat Deutschland gestern das Ende des gemeinsamen Strommarktes mit Österreich eingeläutet. Die Empörung in Österreich ist groß. Aber Deutschland handelt im Sinne der EU-Energieagentur.
Wien. Erst am Donnerstag hatte „Die Presse“ exklusiv über das umstrittene Vorhaben seitens der europäischen Energieagentur Acer berichtet, den gemeinsamen Strommarkt von Deutschland und Österreich aufzuheben und damit hierzulande empfindliche Preisanstiege bis zu zehn Prozent zu provozieren. Schon folgte gestern der erste Schritt in diese Richtung. Und zwar aus Deutschland, das offenbar den Stromhandel mit Österreich wegen Netzengpässen an der Grenze einzuschränken beabsichtigt. Konkret hat die Bundesnetzagentur am Freitag die vier Übertragungsnetzbetreiber angewiesen, entsprechende Maßnahmen vorzubereiten, die ab 3. Juli 2018 greifen sollen. Das Engpassmanagement sei nötig, weil der Stromhandel nach Österreich weiter zunehme und zusehends zu Netzengpässen führe, erklärte Bundesnetzagentur-Präsident Jochen Homann, der die Brisanz gleich entschärfen wollte: „Es werden lediglich Handelsspitzen gedeckelt.“ Reuters zufolge geht es um etwa zehn Prozent des Handelsvolumens, das wegen fehlender Netze eigentlich nicht abgewickelt werden könnte.
Bei den zuständigen österreichischen Behörden war gestern dennoch Feuer am Dach. Die geplanten einseitigen Engpassmaßnahmen an der Grenze seien „ein falscher Schritt, der weder erforderlich noch gerechtfertigt ist“, es gebe „eindeutig gelindere Mittel“, so Wolfgang Urbantschitsch und Andreas Eigenbauer, Vorstandsdirektoren der E-Control, in einer Aussendung: Der gemeinsame Strommarkt der beiden Länder sei „ein Musterbeispiel einer gelungenen Energiemarkt-Integration“. Für die heimische E-Wirtschaft brandmarkte Österreichs-Energie-Präsident Wolfgang Anzengruber den deutschen Schritt zur Engpassmanagement-Vorbereitung als „falsche und voreilige Aktion wider den Geist des europäischen Strombinnenmarkts“. Deutschland, das die Probleme im europäischen Übertragungsnetz ursächlich ausgelöst habe, versuche so, den selbst verursachten Schaden auf kleinere Länder abzuwälzen, so der Verbund-Chef.
Deutschlands Schuld
Anzengruber spielt auf zwei unterschiedliche Momente an, die freilich zusammenhängen. Zum einen wird in Norddeutschland aufgrund der Energiewende nicht nur viel, sondern bei günstigem Wetter auch zu viel Ökostrom produziert, der dann zu sinkenden Strompreisen und zu einer entsprechenden Nachfrage im Süden des Landes bzw. eben auch in Österreich führt. Zum anderen verfügen die innerdeutschen Netze über nicht genügend Kapazität, um diesen Stromfluss nach Süden zu stemmen, weshalb sich der Strom Alternativwege über Polen und Tschechien sucht, was die dortigen Netze zeitweise gefährlich überlastet.
Längst plädieren die beiden Länder daher dafür, den einheitlichen Strommarkt zwischen Deutschland und Österreich zu beenden und setzten im Vorjahr immerhin eine – rechtlich wohlgemerkt nicht bindende – Stellungnahme der EU-Energieagentur Acer zur Trennung der Strompreiszone durch. Nun will Acer, wie „Die Presse“ in der Donnerstagausgabe berichtete, nachlegen und noch im November eine Strompreiszonen-Entscheidung treffen, die dann – einige Jahre später – eine Trennung des bisherigen gemeinsamen Strommarktes bringen könnte.
Österreichs Lösungsansätze
Nicht nur die E-Control will dagegen vorgehen, auch der österreichische Netzbetreiber APG will „alle rechtlichen Möglichkeiten dagegen prüfen“. Die E-Control sieht einen Ausweg nur in der Erweiterung der Netzkapazitäten – und zwar vor allem der innerdeutschen. Darauf nahm gestern im Übrigen die deutsche Bundesnetzagentur auch Bezug und rechtfertigte die Einführung eines Engpassmanagements an der bilateralen Grenze bis Sommer 2018 damit, dass die Kapazitäten der Übertragungsnetze in Deutschland, Österreich sowie Polen und Tschechien „auch bei erfolgreichem Netzausbau langfristig nicht in der Lage sein werden, den gehandelten Strom vollständig zu transportieren“. Die deutsche Regierung will Reuters zufolge mit der angedrohten Begrenzung Druck aufbauen, um mit Wien doch noch zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Österreich habe längst Kompromissvorschläge unterbreitet, so Anzengruber.
Ärger und Gesprächsbereitschaft
Ärgerlich für Österreichs E-Wirtschaft ist Anzengruber zufolge, dass die deutsche Regierung mit ihrer Entscheidung den Verband der Europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) präjudiziere. Dieser allein trägt die Verantwortung für die Prüfung, ob es einen Engpass zwischen Deutschland und Österreich gibt. Die ENTSO-E habe das Ergebnis ihres Bidding Zone Review erst für das vierte Quartal 2017 angekündigt. Anzengruber hofft, dass „die Gespräche der Regulatoren weitergeführt werden und dass noch eine bessere Lösung für die österreichischen Stromkunden gefunden werden kann“. Die E-Control ihrerseits betonte, weiter gesprächsbereit zu bleiben. (ag./est)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2016)