Neue Regeln für Banken aus Drittstaaten machen britischen Instituten das Leben schwer.
Brüssel. CRR, BRRD, SRMR, G-SRI, TLAC und MREL – was nach Zutaten einer Buchstabensuppe klingt, ist nur ein kleiner Teil des EU-Regelwerks für Finanzinstitute. Im Zuge der globalen Finanzkrise wurden die europäischen Vorschriften bereits mehrmals angepasst, und am gestrigen Mittwoch war es wieder einmal an der Zeit, die regulatorischen Schrauben weiter anzuziehen. Der für Finanzstabilität zuständige EU-Kommissar, Valdis Dombrovskis, präsentierte ein Bündel an Vorschlägen, mit denen die in Europa tätigen Banken (noch) krisenfester gemacht werden sollen. „Die neuen Vorschläge dienen der Risikominimierung und basieren auf internationalen Standards“, erklärte der lettische Kommissionsvizepräsident gestern.
Die Brüsseler Behörde schlägt keine neuen Rechtsakte vor, sondern will bestehende Verordnungen modifizieren – womit wir bei den eingangs erwähnten Akronymen wären: Konkret geht es um Anpassungen bei der Eigenkapitalverordnung (CRR), der Bankenabwicklungsrichtlinie (BRRD) und der Abwicklungsmechanismus-Verordnung (SRMR). Damit diese in Kraft treten, müssen allerdings noch Europaparlament und Rat zustimmen, was verhältnismäßig unproblematisch sein dürfte, da das Gremium der Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit entscheiden kann und nicht auf Einstimmigkeit angewiesen ist.
Nach dem Brexit droht ein Problem
Der Hinweis auf die Abstimmungsmodalität im Rat ist insofern wichtig, als es einen Mitgliedstaat gibt, der mit der Gesetzesvorlage der Kommission alles andere als zufrieden sein dürfte: nämlich Großbritannien. Ein Teil des Pakets betrifft global agierende, systemisch relevante Finanzinstitutionen (sogenannte G-SRI) aus Drittstaaten. Die Brüsseler Behörde will Großbanken aus Übersee dazu verpflichten, mehr Kapital innerhalb der EU zu halten, um im Krisenfall genug Geldmittel für eine geordnete Abwicklung ohne Zuhilfenahme von Steuergeldern zur Verfügung zu haben. Die neuen Regeln sollen für Geldinstitute mit mindestens zwei Tochtergesellschaften innerhalb der EU gelten, die zusammengezählt mindestens 30 Milliarden Euro in ihren Bilanzbüchern stehen haben. Die betroffenen Institute müssen demnach eine separate EU-Holding einrichten und diese mit genug Kapital ausstatten, um im Fall des Falles die Töchter geordnet liquidieren zu können.
Die Crux aus britischer Sicht: Sobald Großbritannien die EU verlässt, fallen britische Großbanken unter diese Vorschrift – was so viel bedeutet, dass sie, sofern sie in der EU weiter aktiv sein wollen, entsprechend hohe Kapitalreserven auf dem Kontinent (beispielsweise in Frankfurt oder Paris) aufbauen müssen. Das ist erstens mühsam, weil Banken ihr Kapital ungern aufsplitten, und zweitens ein klarer Wettbewerbsnachteil gegenüber französischen und deutschen Mitbewerbern. Dass die französische Regierung vom Brexit profitieren und möglichst viele Institute dazu bringen (bzw. zwingen) will, ihre Hauptquartiere aus der City of London aufs Festland zu verlagern, gilt als offenes Geheimnis.
Wenig Freude mit den Vorschlägen dürften auch die USA haben, deren Banken ebenfalls zum Handkuss kommen werden. Wobei die Kommission allerdings betont, dass die neuen Regeln nur das nachvollziehen, was die US-Regierung daheim beschlossen hat – nämlich, dass Banken aus Übersee mit einer Bilanzsumme von mehr als 50 Mrd. Dollar eine separat dotierte Holding in den USA haben müssen. Als die USA im Jahr 2014 eine entsprechende Regel aufgestellt hatten, beschwerte sich die EU in Washington wegen Finanzprotektionismus – und kündigte eigene Gegenmaßnahmen an. Der gestrige Gesetzesvorschlag ist also auch eine späte Rache der Europäer für die Ungleichbehandlung auf dem US-Markt.
Neben den neuen Regeln für Institute aus Drittstaaten beinhaltet das Paket auch eine Vielzahl anderer Nachjustierungen – etwa, was die Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (MREL) und die zu haltenden Kapitalbuffer (TLAC) anbelangt. Weiters vorgesehen ist eine EU-weite Vereinheitlichung der zulässigen Verschuldungsquote (Leverage Ratio), Regeln zur Vermeidung von zu großer Abhängigkeit von kurzfristigen Refinanzierungen sowie vereinfachte Regeln für Kleinbanken.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2016)