Banken: Showdown der Regulierer in Santiago

A man looks out to the Los Andes mountain range next to the city from a rooftop of a commercial center
A man looks out to the Los Andes mountain range next to the city from a rooftop of a commercial center(c) REUTERS (� Ivan Alvarado / Reuters)
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Bei den Kapitalregeln sind sich Europäer und Amerikaner in die Haare geraten. Ob sich die Welt weiterhin geeint gegen künftige Finanzkrisen wappnet, entscheidet sich Dienstag in Chile.

Wien. Eine so gefährliche Finanzkrise darf es nicht mehr geben, alle müssen an einem Strang ziehen: Darüber waren sich nach 2008 Politiker und Aufseher einig – und sind es im Prinzip bis heute. Vieles hat sich geändert: Banken müssen ihre Risken mit deutlich mehr Eigenkapital unterlegen. Die USA, die weltweite Standards lang nicht umsetzten, haben nun teils strengere Vorgaben als Europa. Bis Ende des Jahres soll das globale Regelwerk Basel III in allen Details stehen, bis 2019 ganz umgesetzt sein. Aber just im Endspurt droht die Allianz auseinanderzubrechen. Europa und Japan stehen auf der Bremse, Deutschland droht sogar mit einem Abbruch der Gespräche. Bis Dienstagabend ringen Notenbanker und Regulierer in Chiles Hauptstadt Santiago um einen Kompromiss. Was dabei herauskommt, „ist wichtiger als der Brexit“, heißt es aus Bankenkreisen.

Worum geht es? Wie stark die Banken ihre Kreditrisken mit Eigenkapital unterlegen müssen, ist längst fixiert. Aber wie hoch diese Risken sind, dürfen sich große Banken bisher selbst ausrechnen – anhand ihrer hauseigenen, hoch komplexen Modelle. Zuvor müssen die Aufseher solche Modelle zwar prüfen. Aber früher haben sie dazu gern ihren Sanktus gegeben. Die Überzeugung war: Je genauer und spezifischer das Risiko bewertet ist, desto besser. Europäer und Japaner sehen es bis heute so.

Die Amerikaner aber haben diesen selbst gestrickten Berechnungen von Anfang an zutiefst misstraut. Sie fürchten, dass Institute damit ihr Risiko kleinrechnen. Deshalb sind in den USA die Einschränkungen so stark, dass Banken kaum Spielraum haben. Ganz anders in Europa: Bei einem Test ließ man 32 Großbanken für ein identisches Kreditportfolio ausrechnen, mit welcher Kapitalquote es zu unterlegen sei. Die Bandbreite bei den Ergebnissen waren vier Prozentpunkte – zu einer Zeit, in der Banken jeden Zehntelpunkt Verbesserung in ihren Bilanzen als Erfolg verkaufen. Kleinere Institute können es sich meist nicht leisten, komplizierte Bewertungsmodelle mit Tausenden Parametern zu programmieren. Sie müssen sich jetzt schon an ein einfaches Standardmodell halten, mit wenigen Assetklassen, die ein fixes Risikogewicht haben. Ausgerechnet die systemrelevanten Großbanken aber, die „too big to fail“ sind, können die Regulierung leicht austricksen.

Europas Banken im Nachteil

Das wollen die Reformer von Basel ändern, indem sie den Spielraum einengen. Damit ernten sie den Applaus der US-Regulierer – und stoßen auf erbitterten Widerstand der Deutschen und Franzosen. Der Hintergrund: Europa musste schon bisher die Hauptlast der schärferen Kapitalregeln tragen. Die US-Banken haben eine schlankere Bilanz: Große Unternehmen finanzieren sich viel stärker über den Kapitalmarkt als über Darlehen. Hypothekarkredite verkaufen die Geschäftsbanken an die beiden staatlichen Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac. Die europäischen Geldhäuser hingegen tragen auf den ersten Blick ein viel höheres Risiko von insolventen Firmenkunden und von Privaten, die sich beim Haus- oder Wohnungskauf übernommen haben.

Aber sie führen ins Treffen, dass sie tatsächlich nur wenige Ausfälle haben – in ihrem Land, ihrer Region oder der Branche, die sie hauptsächlich bedienen. Um das Risiko hier exakt zu bewerten, brauche es eben maßgeschneiderte Modelle. Wenn man sie nun in eine Zwangsjacke zwinge, die sie zusätzlich viele Milliarden kostet, könnten sie weniger Kredite vergeben. Dann bliebe Europa beim Wirtschaftswachstum hinter den USA zurück. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) sieht es genau umgekehrt: Nach den Untersuchungen dieser „Zentralbank der Notenbanken“, bei der auch das Basel-Komitee angesiedelt ist, können sich besser kapitalisierte Banken leichter refinanzieren und damit auch mehr Geld verleihen. Ein akademischer Streit also – mit sehr realen Folgen.

Unsicherheitsfaktor Trump

Dennoch zeichnen sich Lösungen ab. Schon im Jänner haben die Basel-Reformer versprochen, die Kosten in Summe nicht mehr deutlich zu erhöhen. Stehen sie zu ihrem Wort, dürfte es nur zu Verschiebungen kommen. Etwa: weg von den kleinen, hin zu den großen Banken. Vieles deutet auf einen Kuhhandel hin: Die Europäer stimmen zu, wenn Immobilienkredite außen vor bleiben, was den Nachteil gegenüber den USA verkleinern würde.

Die Aufseher sollten sich also einigen können. Ihre Eile liegt aber nicht nur am selbst auferlegten Zeitplan: Donald Trump will auch bei der Finanzmarktregulierung die Uhr zurückdrehen. Im Jänner zieht der neue US-Präsident ins Weiße Haus ein. Was bis dahin auf globaler Ebene nicht unter Dach und Fach ist, hat wohl nur noch wenige Chancen auf Umsetzung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2016)

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