Großbritannien: Billiges Pfund lockt Touristen an

Ein nebeliger Dezembertag auf der Westminster Bridge. Das billige Pfund sorgt für volle Hotels. Aber wie lang noch?
Ein nebeliger Dezembertag auf der Westminster Bridge. Das billige Pfund sorgt für volle Hotels. Aber wie lang noch?(c) REUTERS (NEIL HALL)
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Der Tourismus auf der Insel profitiert vom Sturzflug des Pfund. Aber im neuen Jahr drohen nicht nur durch Inflation ernste Turbulenzen. Investitionen bleiben aus.

London. Wer sich in den Tagen rund um Weihnachten in eine der Londoner Einkaufsmeilen verirrte, musste sich Sorgen machen, ob die Welt aus dem Gleichgewicht zu geraten drohte: Schier unendliche Menschenmengen kämpften sich von Geschäft zu Geschäft, allein für den letzten Einkaufstag vor dem Fest wurden im West End 900.000 Menschen erwartet. „Wir erleben ein fantastisches Handelsumfeld, das alle unsere Erwartungen übertroffen hat“, sagt Jace Tyrrell, der für die Betriebe der Londoner Innenstadt spricht. Allein in den vier Tagen zwischen Black Friday und Cyber Monday habe man 3,65 Millionen Menschen gezählt.

Im Londoner West End allein melden die Geschäfte für die letzten Wochen des Jahres 13,9 Prozent mehr Umsatz. Einen wesentlichen Anteil daran haben Touristen. Ihnen verdankt man, dass dem Land bisher ein Brexit-Blues weitgehend erspart geblieben ist.

Nach der Entscheidung der Briten für den Austritt aus der EU am 23. Juni fiel das Pfund gegenüber den führenden Währungen der Welt auf zum Teil historische Tiefstände. Das Pfund ist nach wie vor höchst volatil und hat gegenüber dem US-Dollar um 30 Prozent, gegenüber dem Euro 20 Prozent seines Werts eingebüßt.

Entsprechend billiger ist ein Besuch in Großbritannien geworden: „Selbst im Pfund fressenden London waren die Kostenvorteile des Brexit für uns spürbar“, berichtet ein US-Besucher der „Washington Post“. „Der Preis der Fish 'n' Chips, die wir uns vor einem Besuch der Tate Gallery gönnten, fühlte sich weniger wie offener Straßenraub an.“ Die staatliche Tourismusagentur Visit Britain spricht davon, dass sich eine vierköpfige Familie bei einem Besuch in London rund 115 Euro am Tag ersparen könne.

Nach Angaben des Office for National Statistics verzeichnete Großbritannien von Juli bis September 10,7 Millionen Besucher, ein Plus von zwei Prozent gegenüber demselben Zeitraum des Vorjahrs und ein neuer Rekordwert. Zwischen September 2015 und September 2016 wurden 36,8 Millionen Touristen registriert, ebenfalls ein Höchststand. Für Weihnachten gingen für London die Flugbuchungen noch einmal um zehn und die Hotelbuchungen um 20 Prozent nach oben.

20 Prozent mehr Buchungen

Bürgermeister Sadiq Khan wird nicht müde, die Werbetrommel zu rühren: „London hat die besten Hotels, Attraktionen, Einkaufsmöglichkeiten und Unterhaltungsangebote der Welt. London ist offen für Besucher aus aller Welt und bietet ein großartiges Preis-Leistungs-Verhältnis.“ Während dies eine schamlose Übertreibung ist (so kostet eine Tageskarte auf der Londoner U-Bahn für einen Erwachsenen 12,10 Pfund), sind ausgewählte Artikel tatsächlich deutlich billiger geworden: Nach einer Erhebung der Unternehmensberatung Deloitte sind Luxusgüter in London um bis zu 64 Prozent wohlfeiler als in den USA, China oder Frankreich. Burberry-Mäntel, Hermès-Schals, Louis-Vuitton-Taschen fliegen buchstäblich von den Regalen.

Doch auf dem Horizont ziehen dunkle Wolken auf. Der gegenwärtige Preisvorteil durch die Pfund-Abwertung wird nicht dauerhaft sein. Die Kehrseite des Wertverlusts ist, dass Importe entsprechend teurer werden – und Großbritannien hat ein riesiges Außenhandelsdefizit, das allein im September bei 12,7 Milliarden Pfund lag. Für das nächste Jahr wird ein spürbarer Anstieg der Inflation erwartet, die Bank of England rechnet mit einem Sprung von einem Prozent auf 2,7 Prozent im Jahr 2017.

Dringende Warnungen kommen aus der Tourismusbranche auch vor dem drohenden Verlust ausländischer Arbeitskräfte. Die britische Regierung hat klargemacht, dass eine Kontrolle der Zuwanderung und Vorrang für hoch qualifizierte Arbeitskräfte in den Brexit-Verhandlungen für sie Priorität haben werden. 20 Prozent der Beschäftigten im Tourismussektor kommen aus den neuen EU-Staaten, viele von ihnen arbeiten für Mindestlöhne. In einem offenen Brief warnten führende Betriebe des Gastgewerbes wenige Tage vor Weihnachten vor einem Wirbelsturm, den der Brexit für den Sektor auslösen könnte: „Wir sind sehr, sehr besorgt“, heißt es darin.

Investoren haben kalte Füße

Investoren bekommen angesichts dieser Unsicherheiten kalte Füße: Längst hat Amsterdam heute London den Rang als europäische Stadt mit den meisten Neuinvestitionen im Tourismus abgelaufen. Ein Branchenexperte: „Man kann keine Industrie auf Währungsschwankungen aufbauen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2016)

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