Erster Fremder führt Oetker

(c) TV-yesterday / www.picturedesk.com
  • Drucken

Erstmals seit 125 Jahren steht ein Externer an der Spitze von Oetker. Gute Bedingung für einen Neustart des Familienkonzerns oder Zündstoff für weitere Konflikte?

Wer Familienunternehmen verstehen will, braucht keinen Betriebswirt, sondern einen Psychologen.“ Der das sagte, muss es wissen: August Oetker, Mitglied eines der einflussreichsten Familienclans Deutschlands und Chef des Beirats des gleichnamigen Konzerns, der mit Backpulver, Pudding, Pizza, Bier und Sekt reich, mit Schiffen indes in Turbulenzen geraten ist. Das Sorgenkind, die Reederei Hamburg Süd, wird bald verkauft, nicht gerade zur Begeisterung von August – schließlich fällt damit auch die Hälfte des Konzernumsatzes von rund zwölf Milliarden Euro weg.

Und wohin steuert der Rest? Die Antwort auf diese Frage soll der neue Konzernchef Albert Christmann geben. Der bisherige Finanzchef, der im Laufe dieses Jahres an die Spitze wechselt, bedeutet eine historische Zäsur: Erstmals wird das 125 Jahre alte Imperium nicht von einem Familienmitglied geführt. Ist das der von einigen Familienmitgliedern gewünschte, von anderen gefürchtete Befreiungsschlag für den Konzern? Schließlich liefern sich die acht Erben aus den drei Ehen von Rudolf-August Oetker, dem Enkel des Firmengründers, seit Jahren einen handfesten Streit – um die Nachfolge genauso wie um die Strategie. Christmann betritt daher ein Minenfeld, denn die Familie wird auch weiterhin ein gewichtiges Wort mitreden. Neben August sitzt auch Alfred, Halbbruder von Richard, der Ende 2016 mit 65 Jahren gemäß dem internen Statut von der Spitze abtreten musste, im Beirat.

Christmann kennt fast jede Untiefe

Christmann ist zwar ein halbes Leben lang für den Oetker-Konzern tätig und kennt den Laden und (fast) jede Untiefe, dennoch ist er eben nicht Familie. Pikanterweise hielten vor allem die jüngeren Kinder des 2007 verstorbenen Patriarchen Rudolf-August an der Tradition fest und wollten wieder ein Familienmitglied an die Spitze hieven. Richard und sein 72-jähriger Bruder August, der selbst rund 30 Jahre lang die Oetker-Gruppe führte und die Reederei Hamburg Süd kaufte, machten sich indes für eine Konzernleitung stark, die komplett von außen kommt.

Oetker ist nicht das einzige Familienunternehmen, in dem Auseinandersetzungen nicht nur um Sachfragen geführt werden, sondern Machtkämpfe und Eifersüchteleien das Unternehmen bremsen. Man denke nur an die Schlacht der Familien Piëch und Porsche um die Vormachtstellung bei Volkswagen oder die Kämpfe der Erben des Handelsriesen Aldi. „Christmann könnte die Lösung sein, um aus dieser Pattsituation herauszukommen“, sagt Marcel Hülsbeck, Wirtschaftsprofessor und Experte für Familienunternehmen an der Universität Witten/Herdecke, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Es wäre allerdings naiv zu glauben, dass mit ihm alle Konflikte beseitigt sind. „Er versteht zwar, wie die Familie tickt – und das ist generell eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg eines Externen. Wenn ihm aber nicht genug Freiraum gegeben wird und die Familienmitglieder weiter hineinregieren, kann er nichts weiterbringen.

Und das soll er: Das Geschäft läuft zwar abseits der Reederei solide, 2015 stieg der Umsatz um 11,8 Prozent auf 12,2 Mrd. Euro. „Ohne positive Währungseffekte und Zukäufe wäre das allerdings nicht gelungen“, räumte Christmann schon bei der Bilanzpräsentation im vorigen Juni ein. Wie es unter dem Strich aussieht, ist ohnedies tabu – über Gewinne spricht man im Hause Oetker generell nicht.


Expansionswunsch bei Nestlé

Neuen Schwung ins stockende Geschäft zu bringen – das ist auch der Grund, warum Oetkers größerer Konkurrent im Lebensmittelbereich, Nestlé, Traditionen über Bord wirft. Auch dort vollzog sich gerade ein spektakulärer Wechsel an der Spitze: Mit Ex-Fresenius-Boss Ulf Mark Schneider übernahm zu Jahresbeginn erstmals seit hundert Jahren ein Manager die Führung, der nicht bei Nestlé groß geworden ist. Der Schweizer Koloss ist zwar kein Familienunternehmen, aber das Bestellungssystem von Führungskräften ähnelte bisher jenem in Familienunternehmen: Wer in die Führung will, musste quasi im Unternehmen geboren worden sein. Diese Vorgangsweise hat in vielen Konzernen System, auch bei Siemens. Der jetzige Chef Joe Kaeser heuerte gleich nach dem Studium 1980 beim deutschen Elektronikriesen an und diente sich dort hoch. Kaesers Vorgänger Peter Löscher, der von außen geholt worden ist, fand in schwierigen Zeiten wenig Rückhalt und musste vor Ablauf seines Vertrages gehen. Hülsbeck kann internen Besetzungen durchaus Positives abgewinnen: Es motiviere Mitarbeiter, wenn sie wüssten, dass sie im Haus Karriere machen können.

Bei Nestlé waren es die Großinvestoren, die sich frisches Blut wünschten. Schneider soll die unter den Zielvorgaben liegenden Wachstumsraten steigern und vor allem den Gesundheitsbereich – auch mithilfe von Zukäufen – ausbauen.

Investoren oder Familienmitglieder – in beiden Konstellationen sind es also die Eigentümer, die mit ihrer Entscheidung über den Topmanager auch über Wohl und Wehe des Unternehmens bestimmen. „Die Entscheidung, ob ich jemanden von außen hole oder intern bzw. aus der Familie nachbesetze, ist auf jeden Fall schwierig, denn beide Varianten sind keine Erfolgsgarantie“, sagt Peter Hadl. Der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, der auch am Institut für Unternehmensführung und Entrepreneurship der Uni Graz lehrt, betont: „Das Engagement eines Externen sollte prinzipiell nicht aus der Not erfolgen, sondern aus der Überzeugung, dass das die beste Lösung ist.“ Aber wer gibt schon gern die Fäden aus der Hand – auch wenn die Vernunft sagt, dass sich im Unternehmen kein geeigneter Kandidat findet?

Auch wenn man sich letztlich durchgerungen habe, Kompetenz von außen zu holen – oftmals wüssten die Eigentümer nicht, was bzw. wen sie eigentlich wollen, verweist Hülsbeck auf langjährige Erfahrung. „Oft geht es nicht um Arbeit gegen Geld, sondern Leistung gegen Zuneigung.“ Nicht nur einmal habe er in Interviews Folgendes gehört: „Wer bei uns etwas werden will, den muss der Patriarch mögen.“ Der Manager müsse in solchen Fällen gewillt sein, sich „adoptieren“ zu lassen und sich auch den Gepflogenheiten der Familie zu unterwerfen. „Damit muss man erst einmal umgehen können.“ Was also tun, wenn einem signalisiert wird: „Unsere Frauen arbeiten nicht.“ Da gebe es nur eine Möglichkeit: Man akzeptiert das – womit aber in der Firma alles beim Alten bleibt – oder man geht, erklärt Hülsbeck.

Wenn auf diese Weise Geschäft auf Emotion trifft, sei das Konfliktpotenzial programmiert, ergänzt Hadl. Aber auch, wenn das Zusammenleben klappt, gibt es genügend Fallstricke. „Was für die Familie gut ist, muss nicht gut für das Unternehmen sein“, verweist der Uni-Lektor auf ein gutes Beispiel, wo divergierende Interessen aufeinanderprallen: Der Manager plant eine Expansion und will daher die Gewinne im Unternehmen halten. Die Eigentümer pochen hingegen auf eine Ausschüttung – in Form einer Dividende oder Gewinnbeteiligung.

Der Wittener Professor hat in einer Langzeitstudie Hunderte deutsche Familienunternehmen unter die Lupe genommen. Dabei hat sich gezeigt, dass fast 80 Prozent seit mehr als fünf Jahren mit externen Managern arbeiten. Eingestellt wurden diese zur Erweiterung der Expertise (73 Prozent), zur Professionalisierung (53 Prozent) und um Wachstum voranzutreiben (49 Prozent). „Es hat sich gezeigt, dass Familienunternehmen mit einer externen Führung in der Regel erfolgreicher sind“, erklärt Hülsbeck. Und zwar signifikant: Ihre Produktivität sei höher, die Innovationskraft stärker und auch die Finanzdaten besser.

Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung sei allerdings eine optimale Konstellation in der Führung: Die Eigentümer ziehen sich in den Aufsichtsrat bzw. Beirat zurück und überlassen dem Experten das operative Geschäft. Nachsatz von Hülsbeck und Hadl: Tatsächlich darf das Kontrollorgan nur kontrollieren, nicht aber ins Tagesgeschäft dreinreden. Positive Beispiele dafür gibt es viele – BMW und Henkel in Deutschland, Ottakringer und Mayr-Melnhof in Österreich gehören dazu.

Söhne durften nicht einmal erben

Aber auch totaler Rückzug kann danebengehen: Horst Brandstätter, 2015 verstorbener Erfinder von Playmobil und bis zuletzt Alleinbesitzer des gleichnamigen Spielwarenherstellers, hat sich strikt geweigert, seinen Söhnen im Unternehmen einen Platz zu geben. Er ging sogar so weit, dass sie nicht einmal erben sollten. Um den Fortbestand der Firmengruppe mit mehr als 4000 Mitarbeitern zu sichern, brachte Brandstätter die Firma in eine Unternehmensstiftung ein. Das komplizierte Stiftungskonstrukt erwies sich als Bumerang: Die Querelen lähmten das Unternehmen monatelang. ?

Neuer Wind

Albert Christmann übernimmt die Spitze des Lebensmittelkonzerns Oetker – erstmals kein Familienmitglied.

Die acht Kinder aus drei Ehen des 2007 verstorbenen Rudolf-August, Enkel des Firmengründers, streiten seit Jahren um die Nachfolge.

Die Marken Radeberger, Bionade und Henkell gehören auch zum Konzern.

In Zahlen

6,5Milliarden Dollar erwirtschaften die 500 größten Familienunternehmen weltweit und beschäftigen rund 21 Millionen Menschen, ergab eine Studie von EY aus dem Jahr 2015.

90Prozent aller Unternehmen in Deutschland und in den USA befinden sich in Familienbesitz. In Österreich liegt der Anteil bei 80 Prozent. Die Rangliste führt gemessen am Umsatz der US-Handelsriese Walmart vor dem deutschen Autokonzern VW an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.