Teure Jahre am Äquator

Der seit einem Raubüberfall im Jahr 1998 im Rollstuhl sitzende Lenín Moreno soll der Nachfolger von Präsident Rafael Correa werden.
Der seit einem Raubüberfall im Jahr 1998 im Rollstuhl sitzende Lenín Moreno soll der Nachfolger von Präsident Rafael Correa werden.(c) REUTERS
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Bei der Präsidentenwahl am Sonntag in Ecuador steht vor allem die wirtschaftliche Situation des Landes im Vordergrund. Der Andenstaat verschuldete sich unter dem abgehenden Präsidenten Correa rasant.

„Vergessen ist verboten“ – diesen Leitspruch bekamen die Ecuadorianer während der vergangenen zehn Jahre mit steter Regelmäßigkeit zu hören, wenn Präsident Rafael Correa über das Wirken seiner Vorgänger schimpfte. Doch nun, vor den Präsidentschaftswahlen am heutigen Sonntag, muss der hyperaktive, omnipräsente Führer der Partei Alianza País (AP) selbst darauf hoffen, dass die Wähler sich nicht an alle Details seiner Amtszeit erinnern. Denn Correas letzte Jahre waren zum Vergessen für einen Volkstribun, der vor vier Jahren mit 57,17 Prozent im Amt bestätigt wurde und dessen Partei 100 von 137 Parlamentssitzen erobern konnte.

Heute heißt erstmals seit zehn Jahren der Spitzenkandidat nicht Rafael Correa. Er hat anfängliche Überlegungen, via Verfassungsänderung nochmals zu kandidieren, verworfen und wird den Präsidentenpalast in Quito räumen. Correa hat seinen früheren Stellvertreter, Lenín Moreno, als seinen Nachfolger ausersehen. Der Verwaltungsfachmann sitzt im Rollstuhl, nachdem er bei einem Raubüberfall 1998 schwer verletzt wurde. Er verspricht, die interventionistische Linie Correas fortzuführen, allerdings mit leiseren Tönen.

Korruptionsvorwürfe. Correa hat mit politischem und ökonomischem Druck fast sämtliche Sender unter seine Kontrolle gebracht, doch diese Strategie scheint nicht aufzugehen. Über die sozialen Medien machten zuletzt massive Korruptionsvorwürfe gegen enge Weggefährten Correas die Runde, vor allem geht es dabei um die staatliche Ölfirma, Petroecuador, und deren Kontakte zum brasilianischen Baukonzern Odebrecht, der kürzlich vor der New Yorker Justiz gestand, in den vergangenen Jahren 35 Millionen Dollar an Politiker des 16-Millionen-Landes gezahlt zu haben.

Diese Meldungen setzten der Popularität von Correas Kandidaten zu. Moreno rangiert in den Umfragen bei etwa 32 Prozent. Damit liegt er in Führung, aber nicht weit genug. Für einen Sieg in der ersten Runde brauchte er 40 Prozent. Sollte das nicht klappen, muss er fürchten, dass sich seine sieben Gegner einigen und sich in einem zweiten Wahlgang am 2. April hinter den Zweitplatzierten scharen.

Die besten Chancen hat der marktfreundliche Führer der Partei Creando Oportunidades (CREO), Pedro Lasso, von Beruf Bankier. Correa, der offenbar auch Lasso für den potenziell gefährlichsten Kontrahenten hält, hat für den Wahltag daher zusätzlich ein Referendum angesetzt: Die Bürger sollen entscheiden, ob ecuadorianische Politiker Konten in Steuerparadiesen haben dürfen. Lasso besitzt eine ganze Bank in Panama.

Das Szenario erinnert an die Situation in Argentinien 2015, wo Mauricio Macri in den Vorwahlen nur gut 20 Prozent bekam, aber drei Monate später mit 51,5 Prozent gewählt wurde, ohne jedoch eine eigene Parlamentsmehrheit zu haben. Das Gleiche könnte Lasso blühen. Denn die Zersplitterung der Opposition dürfte mit ziemlicher Sicherheit Correas Alianza País eine weitere Parlamentsmehrheit einbringen. Das traditionell komplexe Land, dessen drei klimatisch, ethisch und kulturell extrem unterschiedlichen Landesteile – Küste, Sierra und Amazonas – sich selten einig waren, droht wieder politisch instabilen Zeiten entgegenzufahren. Und das just zu einem Zeitpunkt, in dem es dringend eine Konsolidierung brauchte.

Ecuadors künftiger Präsident muss nämlich einen Schuldenberg übernehmen, der bereits in jenen Jahren angehäuft wurde, als die Erdöleinnahmen noch reichlich sprudelten, der seit dem Kurssturz der Rohstoffe jedoch massiv anwuchs. Nachdem im April 2016 auch noch ein schweres Erdbeben von der Stärke 7,8 die Küstenregion Manabí verheerend traf, ging das Defizit durch die gesetzliche Decke. Bei maximal 40 Prozent des BIPs fixiert die unter dem Ökonomen Correa erlassene Verfassung die Schuldenobergrenze. Weil diese Marke Mitte des Vorjahres bedenklich nahe rückte, veränderte die Regierung im September die Berechnungsmethode und strich sämtliche Außenstände innerhalb des Staates – etwa Verbindlichkeiten der Zentralregierung bei Universitäten oder der Pensionskasse der Polizei – aus der Berechnung. Nun meldet die Regierung verfassungskonforme 27 Prozent.

Derart kreative Buchführung erschwert die Einschätzung der tatsächlichen Situation. Die Wirtschaft ist laut Zentralbank im dritten Quartal 2016 um 1,6 Prozent geschrumpft, das vierte Quartal dürfte ähnlich bescheiden ausgegangen sein. Seit Juni 2015 ist das Land in der Rezession. Die Regierung versuchte, die sinkenden Einnahmen durch Steuererhöhungen zu kompensieren, was vor allem den Zorn der Mittelklasse provozierte. Zudem machte der in den USA promovierte Ökonom Correa hohe Schulden.

Laut dem Ökonomieprofessor und früheren Finanzminister Fausto Ortíz, entschieden kein Correa-Fan, hat die Regierung im vergangenen Jahrzehnt 306,5 Milliarden Dollar ausgegeben. Aber nur 96 Milliarden seien für Investitionen gewesen, die restlichen 210,5 Milliarden waren laufende Ausgaben. Um seine staatliche Verteilungspolitik auch in Zeiten sinkender Ölpreise fortzuführen, habe Correa von 2013 bis 2016 mindestens 20 Milliarden Dollar Schulden aufgenommen, bei der – nicht unabhängigen – Zentralbank und auf den Kapitalmärkten. Das hatte natürlich seinen Preis. Für die letzte Anleihe Mitte 2016 – eine Milliarde Dollar – musste Ecuador 10,75 Prozent Zinsen anbieten, nur das klamme Venezuela muss derzeit mehr zahlen.

Potenziell problematisch für Correas Nachfolger könnten zudem die wenig transparenten Öldeals mit China werden. Die Opposition glaubt, dass die Regierung von China bereits bezahlt wurde für Lieferungen, die in den nächsten Jahren erst erfolgen werden. Weil diese Gelder längst ausgegeben sind, dürften die Nettoeinnahmen aus dem Erdölexport künftig sinken.

Der Dollar als Zahlungsmittel – lang vorteilhaft wegen seines niedrigen Werts, als Anker gegen Inflation und als Rückversicherung für internationale Investoren – wird zunehmend zum Problem. Während die umliegenden Länder, allesamt Mitbewerber auf den Exportmärkten, ihre Währung gegenüber dem erstarkten Dollar abwerten können, steckt Ecuador fest in diesem grünen Korsett, das mit der anstehenden Investitionsinitiative der Trump-Regierung noch enger werden könnte. Zumindest eine gewisse Erleichterung könnte das Freihandelsabkommen mit der EU bringen, das seit dem 11. November 2016 gilt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2017)

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