Mitterlehner teilt aus – gegen EU, Sozialpartner und Richter

Höchste Zeit für weniger Regulierung, findet Wirtschaftsminister Mitterlehner.
Höchste Zeit für weniger Regulierung, findet Wirtschaftsminister Mitterlehner.(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
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Der Wirtschaftsminister will die Bürokratie einbremsen. Er kritisiert Juncker, das Flughafenurteil und die deutsche Energiepolitik.

Wien. An Österreichs Wesen soll die Europäische Union genesen. Außenminister Sebastian Kurz will ja in Eigenregie die EU-Kommission umbauen und Kompetenzen in die Nationalstaaten zurückholen. Da kann Reinhold Mitterlehner nicht nachstehen: Am Donnerstag teilte der Vizekanzler und ÖVP-Chef im Klub der Wirtschaftspublizisten kräftig gegen die Brüsseler Spitzen aus. Dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit seinem Weißbuch nicht etwa „einen überzeugenden Vorschlag“ für die Zukunft der EU macht, sondern fünf Szenarien zur Auswahl stellt, vermittle „Ratlosigkeit“ statt „Leadership“. Es fehle das „Sensorium“ für „Stimmung und Probleme“ der Bürger: Die EU „löst die großen Themen nicht“, wie Außenpolitik und Migration, und „überreguliert“ bei den kleinen, wie dem Fettgehalt der Nahrung. So „ersticken wir in Bürokratie“. Der „Grundgedanke der Union, dass wir mehr Freiheit verwirklichen“, gehe „vollkommen unter“.

Aber auch bei heimischen Themen zeigte sich der Wirtschaftsminister angriffslustig:


Arbeitszeit. Die Sozialpartner sollten beim Ringen um die Arbeitszeitflexibilisierung keine „Klientelpolitik“ betreiben, sondern eine „Standortpartnerschaft“ unter Beweis stellen. Zurzeit machten sie das, was man sonst der Regierung vorwerfe, nämlich streiten. Wenn sie sich bis Juni nicht zur Flexibilisierung einigen, komme eben der „fertige Text“ der Regierung zur Abstimmung ins Parlament.


Flughafen Wien. Kein gutes Haar lässt Mitterlehner auch am Urteil gegen die dritte Piste auf dem Wiener Flughafen. Er wolle zwar kein „Richterbashing“ betreiben, aber: Das Verwaltungsgericht habe „unverhältnismäßig“ entschieden. Wenn man in jedem Einzelfall die Klimafolgen heranziehe, dürfte man „nicht einmal die Anschaffung eines neuen Autos oder einer neuen Kuh genehmigen“. Der Flugverkehr lasse sich damit nicht einschränken, die Flugzeuge müssten dann nur mehr Warteschleifen drehen oder nach Bratislava ausweichen. Damit würden die Interessen Österreichs geschädigt und der Umwelt nichts Gutes getan. Der einzig richtige Weg sei, in der gesamten Luftfahrt die Emissionen zu reduzieren.


Bürokratie. Auf seine Fahnen heftet sich Mitterlehner das jüngst im Ministerrat beschlossene Gesetz zur Deregulierung. Wobei er zugibt: Für zu viel Bürokratie sorgen wir selbst, auch durch die übertrieben eifrige Umsetzung von EU-Richtlinien. Am Beispiel Allergenverordnung: Während heimische Wirte ihre Speisekarten komplett umschreiben mussten, reiche in Italien der elegant kurze Hinweis: „Fragen Sie den Küchenchef“.

Die Bürokratiebremse sieht auch vor, dass die Ministerien für jede neue Regulierung eine alte streichen müssen. Zudem sollen künftig neue Gesetze nach britischem Vorbild zeitlich befristet sein; vor dem Ablauf der Frist werden sie evaluiert und über eine Verlängerung entschieden. Allerdings ist das alles nicht mehr als eine freiwillige Selbstbindung der Koalition. Denn ein solches Gesetz, das über die Gültigkeit anderer Gesetze entscheidet, wäre nur dann verbindlich, wenn es im Verfassungsrang stünde. Und um die dafür nötige Zweidrittelmehrheit hat sich die ÖVP gar nicht bemüht.


Föderalismus. Oft schon wurde eine große Reform der Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern groß angekündigt. Ministerialbeamte tüftelten Vorschläge aus, die Landesfürsten dann abschmetterten. Am Ende passierte nichts. Nun lege es die Regierung andersherum an, erklärt Mitterlehner: Ohne großes Getrommel sucht eine Arbeitsgruppe unter Ägide des steirischen Landeshauptmanns Schützenhöfer den politischen Konsens für einzelne Reformmaßnahmen. Erste Ergebnisse sollen in zwei Monaten vorliegen – vielleicht sogar die schon seit Ewigkeiten geforderte Vereinheitlichung der Bauordnung.


Ökostrom. Bis Jahresende steht die große Reform der Ökostromförderung an. „Spaziergang wird das keiner.“ Mitterlehner schlägt die Pflöcke ein: Förderung sei kein „Lebensabsicherungsmodell“, sondern müsse dafür sorgen, dass Anbieter möglichst schnell marktfähig werden. Also: Weg von der Tarifförderung, hin zur Unterstützung von Investitionen. Österreich müsse von den Fehlern anderer lernen: Bei den Deutschen hätten 20 Jahre mit hohen Einspeistarifen dazu geführt, „dass sie keine technologische Erneuerung haben“ – weil sich die finanziell abgesicherten Produzenten von Solar- und Windenergie nicht um Innovationen bemühen mussten. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2017)

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