Brillengeschichte, written in Austria

Sonnenbrille
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Originalbrillen aus vergangenen Jahrzehnten erleben eine Renaissance. Von dem Boom profitiert auch die in Österreich gegründete Traditionsmarke Carrera. Aber Vorsicht: Es ist nicht allesVintage, was alt aussieht.

Diese Brillen müssen etwas Besonderes sein – das wusste schon Udo Proksch. Das „Enfant terrible“ der österreichischen Gesellschaft designte in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren für die österreichische Firma Wilhelm Anger und hinterließ dort seinen Stempel auf Brillen der Marke Carrera.

Dass er später zur zentralen Figur im größten Politskandal der Zweiten Republik wurde, schadete der Beliebtheit der Objekte nicht. Ganz im Gegenteil: Die Sonnenbrillen, die er unter seinem Alias „Serge Kirchhofer“ gestaltete, genießen heute Kultstatus in der Sammlerszene.

Die Serge-Kirchhofer-Brillen stehen stellvertretend für einen Hype, der in Berlin, aber auch Italien und vor allem Japan um „Vintage“-Brillen tobt. Vintage, ursprünglich den Prozess der Weinlese bezeichnend, stand in der Modebranche lange für das gehobene Secondhand-Segment. Längst bedienen sich Modefirmen des Begriffs, wenn sie Produkte vermarkten, die „gebraucht“ aussehen, obwohl sie nagelneu aus der Fabrikshalle kommen.

Oder von einem Stil einer vergangenen Zeit inspiriert sind – einer Zeit, in der die Brillen teilweise noch von Hand und in sehr hoher Qualität gefertigt wurden. Nutzte man Sonnenbrillen zunächst nur zum Schutz des Auges, so trat seit den 1960er-Jahren zunehmend das Design neben die Funktionalität. Bunte Farben und ausgefallene Formen machten aus dem Sonnenschutz beliebte Accessoires. Über die Jahre kamen Innovationen dazu, wie auswechselbare Gläser oder neue Materialien. In der Originalität liegt der hohe Wert der Brillen begründet.


Nischenprodukt mit Kultstatus. Ein Wert, der mit dem Zauber der Geschichten steigt, die sich um eine Brille ranken. Das Modell „Neostyle Nautic2“ etwa verdankt seinen Ruhm Elvis Presley. Der King of Rock trug die Sonnenbrille mit den rechteckigen Gläsern und der metallenen Fassung 1972 bei seinem legendären Auftritt im Madison Square Garden.

Heute kostet sie knappe 800 Euro – fast zehnmal so viel wie in den Siebzigern, als sie in einer Auflage von geschätzten 10.000 Stück auf den Markt kam. Beispiele wie dieses sind zahlreich: David Bowie, Johnny Depp oder Yoko Ono sind nur ein paar der Stars, die aus einem Brillenmodell ein Must-Have gemacht haben.

Viele der raren Stücke liegen heute unter haufenweise Klump begraben. Auf dem Flohmarkt oder dem großelterlichen Dachboden: Wer selbst eine der wertvollen Brillen finden will, muss sehr genau schauen.

Oder seinen Fachhändler fragen: Kreative Jungunternehmer haben den Trend längst entdeckt und zum Geschäft gemacht. Einer von ihnen ist Chris Prokop. Der 28-jährige Deutsche betreibt seit 2006 einen Onlineshop für Vintage-Brillen, die er von Berlin aus in die ganze Welt exportiert. Ihn hat die Sammelleidenschaft zum Geschäftsmann gemacht: Mit einer alten „Cazal“ auf der Nase sei er durch die Weltgeschichte gereist und immer wieder auf die Brille angesprochen worden. Bis er schließlich begann, die Nische zu wittern.


Weltmarktführer. Mit „Vintage Sunglasses“ avancierte Prokop, wie er selbst sagt, in den vergangenen Jahren zum Weltmarktführer in der Branche. Die Konkurrenz ist überschaubar: Zwar gebe es entsprechende Shops und private Anbieter, die auf Ebay Sonnenbrillen verkaufen. „Aber auch wenn sie vielleicht günstiger sind – man hat keine Garantie, dass die Brillen ungetragen sind.“ Secondhandware kommt Prokop nicht ins Geschäft: Dass er ausschließlich ungetragene Brillen vertreibt, ist sein Markenzeichen. „No Retro, 100% Vintage“, heißt es auf der Homepage immer wieder. „Retro“, so nennen Kenner neue Produkte in altem Styling.

Vor allem seine Kunden in Japan – Prokops Hauptabnehmer – legen großen Wert darauf, dass es sich um echte Vintage-Ware handelt. Für sie lässt er sogar seine Homepage auf Japanisch übersetzen. Wo er die edlen Stücke findet, verrät er freilich nicht: „Das ist es, was uns von der Konkurrenz unterscheidet.“


Verkaufsschlager Retrobrillen. Die Nachfrage nach den alten Brillen haben auch große Unternehmen nicht verschlafen. Sie machen sich den Vintage-Trend ihrerseits zunutze und reagieren mit Neuauflagen der begehrten Modelle. Zu den Nutznießern des Vintage-Booms gehört etwa der italienische Brillenkonzern Safilo, der so gut wie alle bekannten Luxusbrillenlabels unter seinem Dach vereint: Gucci, Boss und Dior finden sich hier ebenso wie Valentino oder Diesel.

Seit 1996 vermarktet Safilo auch die ehemals österreichische Traditionsmarke Carrera. Mit der Gründung einer Brillenfabrik in Traun legte der Österreicher Wilhelm Anger 1948 den Grundstein für ein bedeutendes Stück Brillengeschichte. 1956 entsteht die Marke Carrera. Die Erfindung des kratzfesten Materials Optyl, von Carrera patentiert, tat das Ihrige. Heute findet Optyl bei so gut wie allen Brillen im Hochpreissegment Anwendung, wie Safilo-Österreich-Chef Franz Saurer erzählt.

Spätestens in den Achtzigerjahren erlangen die Sonnenbrillen der Marke Carrera, hierzulande vor allem als Hersteller von Skibrillen und -helmen bekannt, Kultstatus. Eine Kollektion, die gemeinsam mit der Designsparte des Luxusautobauers Porsche auf den Markt kommt, ist an diesem Erfolg maßgeblich beteiligt. Die „Carrera-Porsche-Design-Brillen“ von damals verkaufen sich heute so gut, dass sie unter Liebhabern wie Chris Prokop schon fast wieder „out“ sind.Etwa jede zehnte Brille, die Prokop verkauft, ist ein Carrera-Modell.

Jahrzehntelang lassen Weltmarken wie Dior, Dunhill oder Playboy ihre Brillen im Carrera-Optyl-Werk in Traun produzieren. Acht Jahre nach der Übernahme durch Safilo schließt der Konzern das Werk in Traun und verlegt die Produktion zu einem guten Teil nach Italien. Mit dem Namen wandert auch das Optyl-Patent nach Italien ab. Ein Stück Brillengeschichte geht zu Ende.

Die Marke Carrera aber lebt bis heute weiter – und verkauft sich prächtig: Safilo produziert heuer bereits in der dritten Saison in Folge eine „Vintage“-Linie. Und laut Franz Saurer läuft das Geschäft damit hervorragend: „Wir verkaufen mehrere Millionen Stück im Jahr.“


Ende des Booms in Sicht. Nicht zur Freude jener, die mit alten Originalen handeln. Denn die Schwemme an „re-issues“, wie die Neuauflagen in der Branche genannt werden, lässt den Markt zusammenbrechen. Vielen sei es nämlich mittlerweile egal, ob sie ein Original oder ein re-issue tragen, „sie wollen nur, dass es gut ausschaut“, sagt Brillenhändler Prokop. Die Neuauflagen der alten Modelle sind oft wesentlich billiger als die Originale. Das drückt die Preise. „Damit ist dieser Vintage-Hype eigentlich schon wieder vorbei.“

Aufhören will Prokop deshalb aber nicht. Weil für ihn der Spaß im Vordergrund steht. Und reich geworden ist er mit dem Brillenhandel bis jetzt ohnehin nicht. „Aber sagen wir mal so: Verlust mache ich keinen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2009)

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