Strukturelle Probleme auf Jobmarkt

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Trotz Wirtschaftsaufschwungs ist die Arbeitslosenquote noch immer hoch. Dies hängt mit strukturellen Problemen zusammen. Viele offene Stellen können nicht besetzt werden.

Wien. Österreich verzeichnet den höchsten Beschäftigungszuwachs seit 2008, dem Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise. Dies geht aus einer Analyse des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), die am Montag veröffentlicht wurde, hervor. So stieg in den ersten sieben Monaten 2017 die Zahl der unselbstständig aktiv Beschäftigten (Beschäftigung ohne Präsenzdienst und Elternkarenz) im Vergleich zum Vorjahr um 66.700 Personen. Gleichzeitig sank die Zahl der Arbeitslosen im Vorjahresvergleich um 12.800 Personen.

Angesichts dieser äußerst günstigen Konjunkturlage ist die Arbeitslosenquote „noch immer recht hoch“, betont Marcus Scheiblecker, stellvertretender Leiter des Wifo. Im August lag die saisonbereinigte Arbeitslosenquote bei 8,5 Prozent. Einschließlich Personen in Schulungen sind es sogar 10,2 Prozent. „Der Rückgang der Arbeitslosigkeit unter den ausländischen Arbeitskräften in Österreich setzte verspätet ein, verstärkte sich aber zuletzt“, sagt Scheiblecker. Gleichzeitig halte der Zustrom osteuropäischer Arbeitskräfte unvermindert an.

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Die hohe Arbeitslosigkeit ist nicht konjunkturell, sondern strukturell bedingt. Denn viele Firmen klagen, dass sie offene Stellen nicht besetzen können. Beim Arbeitsmarktservice gab es Ende August 61.868 offene Stellen (siehe Grafik). Zu beachten ist, dass viele Unternehmen bei der Personalsuche nicht auf das AMS zurückgreifen. Laut Statistik Austria ist die Zahl der offenen Stellen im zweiten Quartal 2017 österreichweit auf 103.300 gestiegen. Auch das ist ein neuer Rekord. Zum Vergleich: Im Jahresdurchschnitt 2016 verzeichnete die Statistik Austria 72.800 offene Stellen. Bei drei von vier Jobs handelte es sich um eine Vollzeitbeschäftigung.

Die künftige Regierung sollte daher nach den Wahlen die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt angehen. Denn der Wirtschaftsaufschwung wird nicht immer in diesem Tempo weitergehen. „Die Indikatoren der Unternehmensumfragen befinden sich weiter auf Höchstständen, sie gaben im August aber etwas nach“, heißt es in der am Montag veröffentlichten Wifo-Analyse. Dies deute darauf hin, „dass das höchste Tempo des Wirtschaftswachstums erreicht ist“. Warum trotz Konjunkturbooms so viele offene Stellen nicht besetzt werden können, hängt unter anderem mit der regionalen Verteilung zusammen. Die Arbeitslosenquote ist in Wien am höchsten. Doch viele Jobs werden in Westösterreich angeboten.

Außerdem passen Jobanforderungen und Qualifikationen oft nicht zusammen. „Immer mehr Menschen finden keinen neuen Job, weil sie die dafür nötige Ausbildung nicht bringen“, betonten die Experten des Thinktanks Agenda Austria am Montag. „Hinzu kommt, dass die angebotene Arbeit im niedrig qualifizierten Segment von Firmen nicht mehr nachgefragt wird.“

Einen weiteren Hinweis auf strukturelle Probleme liefere die beinahe Verdoppelung der Langzeitarbeitslosigkeit seit 2013 sowie die hohe Zahl der Arbeitslosen mit niedrigem Bildungsstand.

Debatte über strengere Regeln

Zur Lösung des Problems schlagen die Experten von Agenda Austria vor: „Mehr fördern und fordern.“ So sollte das Arbeitslosengeld zu Beginn höher ausfallen, im weiteren Verlauf aber schrittweise gesenkt werden. „Damit wird der Anreiz erhöht, rasch wieder eine Beschäftigung anzunehmen.“

Weiters sollte überlegt werden, „ob den Menschen nicht ein etwas weiter entfernter Arbeitsplatz zumutbar ist, zumal diese Stellen nicht selten von Bürgern aus benachbarten EU-Ländern angenommen werden“. Schon seit Jahren wird in Österreich über eine Verschärfung der Zumutbarkeitsgrenzen diskutiert. Die ÖVP sprach sich immer wieder für strengere Regeln aus, doch die SPÖ legte sich hier quer. Auf Initiative von Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) sollen nun Gemeinden, soziale Unternehmen und gemeinnützige Organisationen bis zu 20.000 neue Jobs für ältere Langzeitarbeitslose schaffen. Dafür gibt der Staat fast 800 Millionen Euro aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2017)

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