Handel: Simmering statt Amazon

Das Huma Eleven ist mit seiner Expansion eine Ausnahme unter Österreichs Shoppingcentern.
Das Huma Eleven ist mit seiner Expansion eine Ausnahme unter Österreichs Shoppingcentern.
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Baustopps, Onlineshops, schwächelnde Mieter – die Zeiten waren einst besser für Shoppingcenter. Ein Besuch im Huma Eleven in Simmering zeigt eine Branche im Umbruch.

Wien. Nach der Jahrtausendwende lagen jährlich hundert neue Projekte auf dem Tisch von Roman Schwarzenecker. Das waren die Zeiten, in denen Shoppingcenter gern noch größer sein durften, Händler sich in Wartelisten für die begehrten Ladenflächen eintrugen und Baumärkte, Sporthändler und Möbelhäuser auf XXL-Versionen setzten. Heute sind die Stapel auf dem Tisch des Standortberaters deutlich niedriger. Bei vielen Projekten geht es um Erweiterungen im Umfang von tausend Quadratmetern – vernachlässigbare Größenordnungen für Shoppingcenter. „Die Zeiten waren schon einmal rosiger“, sagt Schwarzenecker.

Das hat mehrere Gründe. Um sie zu begreifen, lohnt sich aktuell ein Blick nach Simmering. Dort, zwischen Freudenauer Hafen und A4, wurde ein angegrauter Diskontermarkt aus den Achtzigern in den vergangenen zwei Jahren mit einem dreistelligen Millionenbetrag zum Huma Eleven umgewandelt. Heute, Donnerstag, eröffnet der zweite Teil. Er wird mit seinen 20.000m? aller Voraussicht nach die größte Expansion der gesamten österreichischen Shoppingcenterlandschaft im laufenden Jahr bleiben. Das sagt viel über die Lage der Branche.

Die Raumordnung ist nicht (nur) schuld

Sie ist bescheiden geworden. Statt riesige neue Konsumtempel auf die grüne Wiese zu stellen, wird auf der bestehenden Fläche wie in Simmering abgerissen, umgebaut und erweitert. Das hat zum einen rechtliche Gründe. „Die öffentlichen Raumordnungsabteilungen sind der Meinung, dass es genug Shoppingcenter gibt und sie den innerstädtischen Handel stören“, sagt Schwarzenecker. Ganz abgesehen von diesen Vorgaben, die große Sprünge unmöglich machen, sei der Markt mit knapp vier Millionen Quadratmetern Shoppingfläche schlicht gesättigt. Ähnlich sieht das Wolfgang Richter vom Branchenanalysten Regiodata. Nur 20 Prozent der hundert größten Zentren Österreichs konnten 2016 reale Umsatzzuwächse verzeichnen. Die Jahre, in denen Investoren und Händler auf Expansion drängten und die Raumordner mäßigend eingreifen mussten, sind passé. Das große Geschäft wittern beide Gruppen nicht mehr. Um Kunden anzulocken, muss ein Einkaufszentrum heute mit weit mehr architektonischem Charme und Services punkten können. Das kostet den Eigentümer Geld, das durch die oft umsatzabhängigen Mieten nicht unbedingt zurückkommt. Denn die Handelsumsätze fließen über alle Branchen hinweg zu rund zwölf Prozent an Onlineshops. Tendenz steigend. „Der Fokus der Händler ist zurzeit sicher nicht auf Expansion gerichtet“, sagt Richter. Die Stagnation bei den Kleinen, deren Flächen unter dem Druck der Ketten und der Internetshops seit mehreren Jahren rückläufig sind, hat auf die Großen übergegriffen.

Zuerst wohlfühlen, dann einkaufen

Kann das Investment eines dreistelligen Millionenbetrags am Rand von Simmering in dieser Umbruchphase gut gehen? Marcus Wild, Chef des Shoppingcenterbetreibers SES, hat eine Strategie. Sie heißt etwas behäbig „Aufenthaltsqualität“ und umfasst moderne Architektur, Tageslicht, Holz, Wasserbecken, einen riesigen überdachten Kinderspielbereich und viele Restaurants. Sinn der Übung: Zuerst fühlt man sich wohl, dann kauft man ein.

In den USA, dem Land der Malls, sei ein Viertel der Einkaufszentren in der Existenz bedroht, sagt Wild. „Dort fährt man hin und fragt sich: ,Wieso bin ich hier?‘“ Sobald sich der Kunde diese Frage stellt, ist die Entscheidung für den bequemen Kauf bei Amazon nicht weit. Das Konzept der SES, das sie mit Gastronomie, Architektur und Shops in Wien etwa bereits im Q19 umgesetzt hat, will das Gegenteil der anonymen amerikanischen Einkaufstempel sein. „Nur so kann man dem Onlinehandel vernünftig begegnen“, sagt Wild. Die zum Salzburger Spar-Konzern gehörende SES mit 30 Shoppingcentern in fünf Ländern hat dabei einen nicht unbeträchtlichen Vorteil gegenüber Einzelkämpfern: Netzwerke. Und man tut sich leichter, Leerständen vorzubeugen und die Attraktivität bei Mietern zu heben, wenn man einen Supermarkt aus dem eigenen Konzern einziehen lassen kann.

Als einzigen Wermutstropfen sieht Wild die Lage. Die fehlende U-Bahn-Anbindung will er mit Gratis-Shuttlebussen und dem großen Parkplatz abfedern. Die Millioneninvestition werde sich langfristig rechnen. „Warum soll das nicht in Simmering funktionieren?“, sagt Wild.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2017)

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