Niederlande: 775 Euro Selbstbehalt für Kranke

Niederlande Euro Selbstbehalt fuer
Niederlande Euro Selbstbehalt fuer(c) AP (Peter Dejong)
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In der kommenden Legislaturperiode müssen 35 Milliarden Euro eingespart werden. Die 16,5 Millionen Holländer werden sich von vielen Errungenschaften des Sozialstaates verabschieden müssen.

Den Haag. Die Niederländer wählen am 9. Juni ein neues Parlament. Aber unabhängig davon, wie die künftige Haager Regierung zusammengestellt sein wird, ist eines schon jetzt klar: Es wird ein Gruselkabinett für die Bürger. Denn in der kommenden Legislaturperiode müssen 35 Milliarden Euro eingespart werden – und die Maßnahmen, die in Diskussion sind, sind keine Kleinigkeit.

Die 16,5 Millionen Holländer werden sich von vielen Errungenschaften des Sozialstaates verabschieden müssen, wenn die Ideen umgesetzt werden, die von einer Sachverständigenkommission jetzt zur Einbremsung des Defizits vorgeschlagen werden.

An erster Stelle steht beispielsweise gleich die Abschaffung des Kindergeldes. Das komme den Staat viel zu teuer. Als nächste Idee folgt eine Selbstbeteiligung der Bürger an der allgemeinen Gesundheitsversicherung in Höhe von 775 Euro pro Person. Das hieße, wer künftig in den Niederlanden krank wird, der muss für die Kosten seiner Behandlung einen Selbstbehalt von 775 Euro bezahlen. Kostet eine ärztliche Behandlung 600 Euro, sind die selbst zu zahlen. Erst ab 775 Euro sollen die Kosten von der staatlichen Gesundheitsversicherung übernommen werden.

Aus für Stipendien

Für Häuslbauer wird es eng, weil die Absetzbarkeit der Hypothekenzinsen abgeschafft oder zumindest massiv eingeschränkt werden sollen. Für jeden Hausbesitzer ein Horrorszenario: Einerseits könnte er die Kredite nicht absetzen, andererseits aber muss er schon jetzt eine relativ hohe Grundsteuer bezahlen. Experten halten einen solchen Schritt für gefährlich, weil dadurch der Immobilienmarkt zum Erliegen kommen könnte.

Weitere Sparvorschläge: Die Kürzung des Mindestlohnes um zehn Prozent; die Kürzung des Arbeitslosengeldes um mindestens zwanzig Prozent. Keine Stipendien mehr für Studenten, sondern nur noch staatliche Kredite, die die Studenten nach Abschluss ihres Studiums in voller Höhe zurückzahlen müssen. Radikale Kürzungen des Verteidigungsetats und der Entwicklungshilfezahlungen. Radikaler Umbau des öffentlichen Dienstes und des Beamtenapparats, der kräftig schrumpfen soll. Allein hier orten die Experten ein Sparpotential von fünf Milliarden Euro.

Selbst vor traditionsreichen Einrichtungen macht man nicht halt: Die Feuerwehr solle privatisiert werden, lautet ein Vorschlag. Auch das bringe Millionen, die das Budget dringend benötige.

Arbeiten bis 67

Schließlich der heikelste Punkt: Die Erhöhung des Rentenalters von bisher 65 auf künftig 67 Jahre. Das wurde von der im Februar gescheiterten Großen Haager Koalition zwar schon beschlossen. Doch das neue Rentengesetz hat die parlamentarischen Hürden noch nicht genommen, so dass das Thema Rentenalter einer der zentralen Knackpunkte bei den Koalitionsverhandlungen der künftigen Haager Regierung nach der Wahl im Juni sein wird.

Grund für den diskutierten massiven Sparkurs ist die ausufernde Neuverschuldung infolge der Wirtschaftskrise. Das Defizit könnte heuer sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen – doppelt so viel, wie im Maastricht-Vertrag erlaubt. Und nachhaltig bringe man die Staatsfinanzen nur durch Staatsfinanzen in den Griff, glauben die Experten.

Dass man die Sparmaßnahmen offen vor der Wahl diskutiert, wird nicht als Nachteil gesehen. Denn mehr als Einschnitte fürchten die Niederländer vor allem eines: Dass sie das Griechenland Nordwesteuropas werden.

Auf einen Blick

35 Milliarden Euro müssen die Niederlande in den kommenden Jahren einsparen. Aufgrund der Wirtschaftskrise stieg die Neuverschuldung heuer auf knapp sechs Prozent des BIPs. Eine Expertenkommission schlägt jetzt tiefe Einschnitte in den Sozialstaat vor, unter anderem die Abschaffung des Kindergeldes und einen Selbstbehalt beim Arztbesuch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2010)

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