Drei Viertel der Eltern unfreiwillig "Nachhilfelehrer"

Drei Viertel Eltern unfreiwillig
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Eltern lernen mit ihren Kindern - die so aufgewendete Zeit entspricht 80 Millionen Stunden Freizeit oder 47.000 Vollzeit-Arbeitsplätzen. Die Kosten für Nachhilfe durch Dritte: Knapp 130 Millionen Euro im Jahr.

WIEN (pö). Die Schule ist ein schlechtes Geschäft für die Eltern. Auch dieses Schuljahr zahlen sie wieder rund 126 Millionen Euro für Nachhilfe. Außerdem lernen drei Viertel der Eltern am Nachmittag mit ihren Kindern, damit sie besser in der Schule abschneiden. Die Zeit, die sie dafür einsetzen, entspricht 80 Millionen Stunden Freizeit oder 47.000 Vollzeit-Arbeitsplätzen. Das ergab eine Umfrage, die das Ifes-Institut im April und Mai dieses Jahres in 2760 Haushalten mit rund 4400 Kindern durchgeführt hat. Auftraggeber war die Arbeiterkammer Wien (AK). Schon in den Vorjahren haben Umfragen vergleichbare Werte zutage gefördert, die Kosten für private Nachhilfe durch Dritte – nicht durch die Eltern – machten jeweils knapp 130 Millionen Euro im Jahr aus. Dazu kommen noch tausende Stunden Nachhilfe, die Länder, Gemeinden, Volkshochschulen, Jugendzentren, karitative oder private Einrichtungen Schülern gratis anbieten.

AHS-Unterstufe kommt am teuersten

Am teuersten ist private Nachhilfe heuer mit 796 Euro pro Kind und Jahr für die Eltern von AHS-Unterstufenschülern, die Nachholbedarf haben. Platz zwei belegen die Volksschüler: Ihre Eltern zahlen 751 Euro pro Kind und Jahr. Für betroffene Hauptschüler fallen 559 Euro, für AHS-Oberstufenschüler 690 Euro und für Schüler an berufsbildenden höheren Schülern 711 Euro pro Kind und Jahr an. An den Volksschulen trifft es acht von 100 Schülern, die private Nachhilfe nehmen, an Hauptschulen zwölf, an AHS-Unterstufen 18, an AHS-Oberstufen 22 und an BHS 16 Prozent aller Schüler. Österreichweit bekommen 240.000 aller 1,2 Millionen Schüler Nachhilfe.

Am teuersten kommt diese in Wien mit im Schnitt 911 Euro pro Kind und Jahr (über alle Schultypen gerechnet), am wenigsten zahlen Eltern in Oberösterreich mit im Schnitt 564 Euro pro Kind und Jahr (siehe nebenstehende Grafik).

Für Arbeiterkammer-Präsident Herbert Tumpel sind die Zahlen Antrieb, um auf eine umfassende Schulreform zu drängen. Ziel sei es, dass Eltern weder mit ihren Kindern lernen noch Nachhilfe finanzieren müssen. Helfen könne eine einheitliche Mittelstufe, so der AK-Chef: Schüler sollten nicht länger schon mit zehn Jahren getrennt werden, eine Gesamtschule bis 14 würde einer falschen Schulwahl vorbeugen. Und das System der Ganztagsschule müsse ausgebaut werden – auch an künftigen Gesamtschulen. Noch würden im „alten“ Halbtagsschulsystem zu viele Kinder zu wenig gefördert und mit Hausübungen heimgeschickt.

Tumpel für Ganztags- und Gesamtschule

(c) Die Presse / HR

Der Hang zur Nachhilfe benachteilige Familien, deren Eltern wenig verdienen, mahnt Tumpel. Statt den 240.000 brauchen in Österreich sogar 310.000 Kinder Nachhilfe, wie die Ifes-Umfrage ergab. 70.000 von ihnen bekommen aber keine, weil das Geld oder das Angebot fehlt. Eltern und Kinder müssten „ausbaden“, dass das jetzige Schulsystem „zu wenig Verantwortung für den Lernerfolg übernimmt“, so Tumpel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2010)

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