Vertrauen ist gut...

Vertrauen
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Beim Reparieren von Autos, der Behandlung beim Arzt oder bei einer Taxifahrt in einer fremden Stadt ist man als Kunde den Anbietern ausgeliefert – die einfach mehr wissen.

Autoreparaturen, Taxifahrten, Arztbesuche und Programmierarbeiten haben in den Augen von Ökonomen eines gemeinsam: Sie sind sogenannte „Vertrauensgüter“. Das sind Güter und Dienstleistungen, bei denen die Anbieter besser über die Bedürfnisse ihrer Kunden Bescheid wissen als die Kunden selbst. Außerdem wissen die Kunden bei Vertrauensgütern oft auch nach dem Kauf nicht, was sie tatsächlich bekommen haben. So weiß ein Mechaniker z.B. besser als der Autobesitzer darüber Bescheid, welche Reparaturen gemacht werden müssen, um das Fahrzeug wieder in Gang zu bringen. Und nach einer erfolgreichen Reparatur kann der Autobesitzer oft nicht feststellen, was genau repariert wurde. Wurde tatsächlich die Lichtmaschine ausgetauscht, wie es auf der Rechnung steht, oder wurde nur die Sicherung erneuert?

Diese Asymmetrie kann von den Anbietern in mehrerlei Hinsicht ausgenützt werden. Bei einer „Unterversorgung“ wird anstatt einer nötigen Leistung eine einfachere, billigere erbracht – so hält z.B. die ausgetauschte Dichtung nur ein paar Tage, dann beginnt der Kühler erneut zu rinnen. Bei einer „Überversorgung“ dagegen wird mehr gemacht als eigentlich notwendig wäre – es wird etwa nicht die defekte Sicherung getauscht, sondern die ganze Lichtmaschine. Oder es kommt zu einer „Überbezahlung“ – wenn etwa die Lichtmaschine verrechnet wird, obwohl nur die Sicherung ausgetauscht wurde.

In realen Märkten für Vertrauensgüter gibt es viele Regeln und Institutionen, um solche Übervorteilungen zu erschweren. Etwa Haftungsregeln, selbstauferlegte Branchenstandards, den hippokratischen Eid oder Festpreise (etwa für bestimmte Taxifahrten).


1000 Versuchspersonen. Doch wie gut funktionieren solche Regeln wirklich? Innsbrucker Ökonomen um Rudolf Kerschbamer und Matthias Sutter haben das in groß angelegten Experimenten, gefördert u.a. durch den Wissenschaftsfonds FWF, überprüft. Sie haben mit rund 1000 Studierenden die Entscheidungen beim Erwerb von Vertrauensgütern unter verschiedenen Rahmenbedingungen durchgespielt. Und zwar im Labor – die Ergebnisse dieser Forschung erscheinen demnächst in der Fachzeitschrift „American Economic Review“.

Dieser Forschungszweig, der ökonomische Vorhersagen aus der Theorie unter kontrollierten Bedingungen in der Realität – also an echten Menschen – überprüft, nennt sich „experimentelle Wirtschaftsforschung“. Diese Richtung erlebt seit einigen Jahren einen ungeahnten Boom. In typischen Laborexperimenten spielen zwei oder mehrere „Subjekte“ (meist Studierende) am Computer gegeneinander, und zwar um echtes Geld.

Dabei erleben die Forscher bisweilen Überraschungen. So sagt die Theorie bei Vertrauensgütern beispielsweise voraus, dass man keine Haftungsregeln bräuchte, wenn die Kunden die erbrachte Leistung überprüfen können – wenn sie also feststellen können, ob bei der Reparatur nur eine Sicherung oder die gesamte Lichtmaschine ausgetauscht wurde. Überprüfbarkeit allein beseitigt zwar unmittelbar nur das Problem der Überbezahlung, die Theorie prophezeit aber, dass auch die Probleme der Unter- und der Überversorgung gelöst werden.

„Die theoretische Vorhersage beruht auf der Annahme, dass die Beobachtbarkeit der Leistung dazu führt, dass sich die Preise so anpassen, dass die Experten keinen Anreiz mehr für Über- oder Unterversorgung haben“, erläutert Kerschbamer. Die Realität ist aber ein andere: Viele Experten nutzen ihren Informationsvorsprung auch unter diesen idealen Bedingungen dazu, den Kunden zu übervorteilen – selbst wenn sie selbst keinen unmittelbaren materiellen Vorteil daraus ziehen. Denn: Der Mensch ist nun mal nicht so, wie ihn die Theorie des „homo oeconomicus“ gern zeichnet – als ein durch und durch rationales und nur am eigenen materiellen Vorteil orientiertes Wesen.

Das zeigt sich im Experiment auch unter anderen Rahmenbedingungen. Selbst wenn es weder Haftungsregeln noch Überprüfbarkeit der erhaltenen Leistungen gibt – die Anbieter daher betrügen könnten, ohne unmittelbare Konsequenzen fürchten zu müssen –, hat rund die Hälfte der Versuchspersonen die Kunden trotzdem richtig versorgt.


Nicht immer rational. Kerschbamer: „Die herkömmlichen Modelle machen viele Annahmen – etwa, dass Menschen völlig rational und egoistisch sind. Wir wissen aber aus der experimentellen Ökonomie, dass das systematisch falsch ist.“ Im menschlichen Verhalten spielen auch Dinge wie Altruismus (unbedingte Hilfsbereitschaft gegenüber anderen), Neid (negative Einstellung gegenüber Menschen, denen es besser geht als einem selbst) oder Reziprozität („Wie du mir, so ich dir.“) eine Rolle. Auf Märkten ohne Informations-Asymmetrien haben solche Faktoren wenig bis gar keine Konsequenzen. Ähnliches gilt für Märkte für Vertrauensgüter – falls funktionierende Haftungsregeln den Kunden vor Unterversorgung schützen. Haftungsregeln haben aber ihre Grenzen. So kann ein Auto funktionstüchtig die Werkstatt verlassen, aber einige Zeit später kaputt gehen. In solchen Fällen lässt sich dann nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob es Nachlässigkeit des Mechanikers war, oder ob der Schaden unabhängig davon aufgetreten ist.

Sollte da nicht verstärkter Wettbewerb eine positive Rolle spielen? Anbieter, die nicht gut arbeiten und unehrlich sind, sollten ja mit der Zeit aus dem Markt gedrängt werden. Die Experimente sprechen aber eine andere Sprache: Zwar steigert Wettbewerb – wie erwartet – die Effizienz der Märkte, allerdings ist der Effekt nicht sehr stark. Und er ist nur darauf zurückzuführen, dass Wettbewerb die Preise drückt und dadurch das Handelsvolumen erhöht. Am Hauptproblem der Vertrauensgüter ändert der Wettbewerb überhaupt nichts: „Die Wahrscheinlichkeit von Unter- und Überversorgung sowie von Überbezahlung wird durch verstärkten Wettbewerb nicht reduziert“, sagt der Ökonom. Und er sieht dadurch einen alten Spruch von Ökonomen bestätigt: „Wenn die Regeln stimmen, dann ist Wettbewerb etwas Gutes.“ Und weiter: „Auf unregulierten Märkten, auf denen Informations-Asymmetrien effiziente Transaktionen verhindern, garantiert aber nichts, dass Wettbewerb die Situation verbessert.“


Auch Ärzte betroffen. Für Autoreparaturen oder auch für Taxifahrten in fremden Städten klingt das mit der Übervorteilung von Kunden recht plausibel. Doch gilt das auch für Ärzte? Kerschbamer vermutet eher schon. „Der Markt für medizinische Leistungen ist auf der individuellen Ebene empirisch zwar nur sehr schwer zu untersuchen. Aggregierte Daten zeigen aber klar, dass auch Ärzte auf monetäre Anreize reagieren.“ Steigt z.B. der Vergütungssatz für Kaiserschnitte, dann geht der Prozentsatz der natürlichen Geburten dramatisch zurück. „Das wissen wir aus mehreren Studien“, so Kerschbamer.

Innsbruck
hat in Sachen Ökonomie in den letzten Jahren stark aufgeholt: Im aktuellen „Handelsblatt“-Ranking der besten Wirtschaftsforscher im deutschen Sprachraum liegt die Uni Innsbruck unmittelbar hinter der Uni Wien auf Platz elf.

Verantwortlich
dafür ist v.a. die kürzlich gegründete Forschungsplattform „Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung“, in der eine Reihe sehr renommierter, zum Teil erst kürzlich nach Tirol engagierter Ökonomen wie Matthias Sutter, Pavlo Blavatskyy, Jesus Crespo-Cuaresma, Michael Pfaffermayr oder Rudolf Kerschbamer mitarbeiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2010)

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