Weinbau: Kleinste Ernte seit 20 Jahren

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Österreichs Weinbauern steht die kleinste Ernte seit 20 Jahren ins Haus. Viele haben Millionen in die Modernisierung ihrer Betriebe investiert. Der Jahrgang wird nicht nur in der Qualität seinen Niederschlag finden.

Die heile Welt ist nicht nur fürs Marketing. Kaum jemand setzt sich intensiver mit den Einflüssen und Entwicklungen der Natur auseinander wie die Winzer. Immer mehr entsagen der chemischen Keule, widmen sich dem biologischen Weinbau, produzieren im extremsten Fall biodynamisch. Diese heile Welt ist heuer schwer ins Wanken geraten. Die Winzer bekamen die Natur von ihrer anderen Seite zu spüren: ein verregneter und viel zu kalter Frühling, ein intensiver, aber viel zu kurzer Sommer und ein Herbst, der schon im August einzog. Mit geschätzten 1,76 Millionen Hektoliter fällt die heurige Weinernte so schlecht wie zuletzt vor 20 Jahren aus.

Die Winzer geben sich nach außen hin gelassen. „Ja, die Menge war katastrophal, aber umso besser ist die Qualität“, lautet der Tenor. Aber gute Qualität zu produzieren konnten sich heuer nicht alle Winzer leisten. Ja, auch Weinbauern leben nicht von der Natur und dem Wein allein. Sie brauchen Geld, müssen Millionen investieren und ihre Kreditraten pünktlich bezahlen. Viele junge Winzer stehen tief in der Kreide, haben in den vergangenen Boom-Jahren des österreichischen Weinbaus viel Geld in neue Keller-technologie und schicke Repräsentationsstuben gesteckt. Und jetzt zwei Katastrophenjahre hintereinander. Im Vorjahr war die Katastrophe in der öffentlichen Wahrnehmung noch untergegangen. Denn sie trat nicht flächendeckend wie dieses Jahr auf. Sie traf die Winzer nur sporadisch. Aber wo der Hagel zuschlug, blieb nichts übrig.

Und heuer? Schon die späte Blüte im Juni ließ Schlimmes erahnen. Und im Herbst standen viele Weinbauern vor einem Dilemma. Entweder die wenigen Trauben draußen in den Weingärten länger hängen lassen, um zwar noch weniger zu ernten, dafür aber gute Qualität zu erzielen. Oder: schnell runter mit den zum Teil noch unreifen Trauben, solange noch halbwegs genügend Saft in ihnen steckt. Nur Winzer mit solidem finanziellen Background konnten sich für Variante eins entscheiden.

Und so kann man eines ohne große hellseherische Fähigkeiten bereits verraten: Ein Jahrhundertjahrgang wird 2010 nicht.

Bewährungsprobe für Winzer.
Fritz Wieninger zählt zur heimischen Winzerelite. Der Wiener Winzer hat mit seinem Weingut am Nussberg sowie gemeinsam mit seinen „WienWein“-Kollegen erfolgreich dafür gekämpft, dass der Wiener Wein – besonders sein Lieblingsprojekt, der Gemischte Satz – wieder en vogue ist. Vor Kurzem ist auch er auf den naturnahen biodynamischen Weinbau umgestiegen. Nicht nur deshalb legt er großen Wert auf die Feststellung, dass es „was die schlechte Ernte betrifft, keinen signifikanten Unterschied zwischen Bio- und Nichtbiowinzern gibt.“ Obwohl Wieninger bereits mit einer schlechten Ernte gerechnet hat, wurde er bei der Lese überrascht. „Die Ernte war dann noch deutlich weniger, als wir vor der Lese prognostiziert haben. Ich bin davor oft durch den Weingarten gegangen, da sahen die Reben normal aus. Auf die Waage brachten sie dann aber nur die Hälfte.“ Die Weintrauben waren einfach zu leicht und lockerbeerig.

Diese Erfahrung machte aber nicht nur er. Die meisten Winzer sprechen von 35 bis 40 Prozent weniger Ernte als im Vorjahr. „Wobei die immer das Vorjahr im Kopf haben, aber das war ja auch schon schlecht. Gemessen an einem durchschnittlichen Jahr betrug die Weinernte heuer ein bisschen mehr als 50 Prozent“, sagt Josef Glatt, Direktor des Österreichischen Weinbauverbandes und Referatsleiter für Weinwirtschaft in der Landwirtschaftskammer Österreich. Die aktuelle Weinernteschätzung der Statistik Austria geht von einer Menge von 1,76 Millionen Hektoliter aus. Was deutlich unter der durchschnittlichen Erntemenge von 2,5 Millionen Hektoliter und auch unter dem durchschnittlichen Weinkonsum der Österreicher mit 2,4 Millionen Hektoliter liegt.

Winzer Johannes Hirsch aus Kammern bei Langenlois, der ebenfalls bio-dynamisch arbeitet, bringt das heurige Dilemma auf den Punkt. „Selbst wenn ich von der Versicherung den Ernteverlust bezahlt bekäme, bringt mir das nur etwas auf dem Konto. Weinreben in dieser hohen Bioqualität kann ich nicht zukaufen, weil es sie nicht gibt.“ Beim „selbst wenn“ bleibt es auch. Denn versichern können sich Winzer nur gegen Hagel und Frost. Gegen zu viel Wasser oder Schädlinge müssen sie sich selbst wappnen.

„Natürlich ist die Ernte dramatisch. Aber ich versuche die Landwirtschaft nicht so zu sehen, dass man jährlich eine zehnprozentige Steigerung erzielen muss“, sagt Hirsch, lässt aber nicht unerwähnt: „Das klingt so locker, aber ich habe auch drei Kinder zu ernähren.“

Rehe fressen lieber Biotrauben.
Und manchmal ernährt er nicht nur Kinder, sondern auch Rehe. Die dürften auf den Geschmack gekommen sein und fressen besonders gerne Hirschs Bioreben. „Die merken, dass das bio ist und fressen die mit großer Freude. Wir versuchen sie mit natürlichen Mitteln wie Menschenhaar, Blut und Schafwolle abzuhalten. Nur wenn es dauernd regnet, muss man das jeden Tag machen.“

Drüben im Kremstal hat Winzer-Kollege Bertold Salomon gerade seine Ernte eingefahren. „Ein großer Jahrgang wird es nicht“, sagt er ohne Umschweife. Aber er meint damit die Winzer im Allgemeinen. Seinen Riesling Pfaffenberg Reserve habe er natürlich gehätschelt bis zum Umfallen. Und der wird wie in den vergangenen Jahren von außerordentlicher Qualität sein.

Sommelière Dagmar Gross sieht den Jahrgang differenziert. „Der Säurewert ist natürlich ein bisschen höher, das Traubenmaterial aber bei guten Winzern sehr hochwertig. Vor allem Qualitätsweine profitieren heuer davon, wenn man sie ein bisschen länger liegen lässt.“ Gross ist überzeugt, dass sich beim Jahrgang 2010 deutlich zeigen wird, wer ein guter Winzer ist und wer nicht. Erstere nämlich haben Nerven bewahrt und mit der Lese bis Ende Oktober und Anfang November gewartet. Bei diesen Weinen wird die Frucht im Vordergrund stehen.

Billigweine geraten unter Druck.
Das bekommt auch der Konsument zu spüren. Allerdings nicht nur beim fruchtigen und vor allem leichten Weißwein, sondern auch beim Preis. Natürlich werde es eine Anpassung geben, sagt Winzer Salomon. Er argumentiert die Preiserhöhung nicht nur mit der geringeren Ernte. „Viele Winzer, auch wir, haben die steigenden Kosten in den vergangenen Jahren noch nicht an den Konsumenten weitergegeben“, sagt er. Heuer werde dies deshalb gleich in einem Aufwaschen geschehen.

Auch Grüner-Veltliner-Spezialist Franz Stift aus Röschitz im Weinviertel denkt wohl oder übel über eine Preiserhöhung nach. „Ein bissl werden wir die Preise anziehen“, sagt er und meint: „Unsere Weine liegen bei sechs bis neun Euro, da werden wir um 40 bis 50 Cent teurer.“

Der Preisanstieg wird für renommierte Winzer wie Salomon, Wieninger oder Hirsch kein Problem darstellen. Ihre Spitzenweine waren auch schon in der Vergangenheit zu Apothekerpreisen erhältlich. Wer ihre Spitzenweine schätzt, kann sie sich auch leisten. Problematisch wird es allerdings bei den sogenannten Basisweinen, meint Salomon. In den Supermarktregalen geht es nicht um klingende Namen und Winzerdynastien. Dort entscheidet allein der Preis.

Weine werden empfindlich teurer. Josef Glatt vom Weinbauverband schätzt, dass die Weine im Schnitt um zehn bis 20 Prozent teurer werden. „Der eine oder andere Wein wird auch um 30 Prozent teurer.“

Und den einen oder anderen Winzer wird der Jahrgang 2010 besonders teuer zu stehen kommen. 2010 wird wohl als das Jahr der großen Auslese im heimischen Weinbau eingehen. Die „Grand Sélection“ werden viele Weinbaubetriebe ökonomisch nicht überleben.

1990
Das Jahr gilt als internationales Spitzenjahr. Gut waren auch die Weine in Österreich, insbesondere in der Wachau.

1997
Ebenfalls ein großes Weinjahr in Österreich, vor allem brachte es außergewöhnliche Rotweine hervor.

1999
Der sogenannte Jahrhundertjahrgang ließ vor allem bei den Weißweinen aufhorchen. Das Jahr, in dem die Steiermark (erstmals) große Weine hervorbrachte.

2000
Hochgejubelt als „Jahrtausendwein“ hielt er oft nicht, was er versprach.

2006
Tolles Weinjahr mit teilweise außergewöhnlichen Qualitäten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2010)

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