Konzernchef Christian Kern macht Tabula rasa: Sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr werden gleich mehrere Manager ausgewechselt – koste es, was es wolle.
WIEN. Mittwochabend in der Zentrale der ÖBB auf dem Wienerberg. Die Stimmung: „gespenstisch“, wie ein ÖBB-Mitarbeiter formuliert. Schon am Nachmittag ist ÖBB-Chef Christian Kern mit seinen Kollegen aus der ÖBB-Holding, Josef Halbmayr und Franz Seiser, zu einer Sitzung zusammengekommen. Mit dabei: ÖBB-Personalchef Emmerich Bachmayer und Juristen der Bundesbahnen. Damit war klar: Kern räumt in den ÖBB auf – und zwar auf personeller Ebene. Der Reihe nach wurden Vorstände von ÖBB-Tochtergesellschaften zu Kern zitiert. Dort wurde ihnen die Botschaft überbracht, dass auf ihre Dienste in Hinkunft verzichtet werde – vor Ablauf ihrer Vertragszeit und möglicherweise mit hohen Abfertigungen.
Den Anfang machten die Vorstände des Bereichs Güterverkehr, der Rail Cargo Austria (RCA), Friedrich Macher und Günther Riessland. Mit ihrer Performance ist Kern schon lange unzufrieden.
Die einstige Cashcow
Einst war der Bereich Güterverkehr die Cashcow der ÖBB. Mittlerweile ist er zum veritablen Problem für die Bundesbahnen geworden. Schon im Jahre 2008 musste die Rail Cargo Austria einen Verlust von 64,7 Mio. Euro hinnehmen, im vergangenen Jahr machte das Minus bereits 101,8 Mio. Euro aus. Im laufenden Jahr wird sich der Abgang weiter erhöhen: Ursprünglich ist im Konzern für heuer ein Verlust in Höhe von 63 Mio. Euro prognostiziert worden – was sich jetzt als deutlich zu optimistisch erweist. Ein internes RCA-Papier, das heute dem Holding-Aufsichtsrat präsentiert wird und der „Presse“ vorliegt, geht nun von einem Verlust in Höhe von 139 Mio. Euro aus.
Doch auch diese Zahl ist lediglich eine vorläufige Prognose, die in den nächsten Wochen Makulatur sein könnte: ÖBB-Chef Christian Kern hat kürzlich zwar erklärt, dass sich „ein Einser vor dem dreistelligen Minus wohl ausgehen wird“. Ganz sicher sei er sich aber nicht mehr, heißt es in den ÖBB.
Macher und Riessland müssen also gehen.
Am Abend wurden dann noch zwei Vorstände der Personenverkehrs AG zu Kern zitiert – Gabriele Lutter und Werner Kovarik. Der Personenverkehr entwickelt sich auch nicht zur Zufriedenheit des neuen ÖBB-Chefs, obwohl heuer bis Juli der Gewinn sogar deutlich gestiegen ist. Auch Lutter und Kovarik wurde mitgeteilt, dass man auf sie in Hinkunft verzichten wolle. Wiewohl Kovarik angeblich zur Postbus GmbH wechseln soll.
Dass Kern bei der RCA aufräumen würde, war schon seit Tagen ein offenes Geheimnis. Dass die Aktion allerdings solche Ausmaße annehmen würde, überraschte selbst hartgesottene ÖBB-Insider. Wer den geschassten Vorständen nachfolgen soll, war gestern noch völlig unklar. Möglicherweise wird Kern heute, Donnerstag, dazu Auskunft geben: Da will er ein „Turnaround-Programm“ für die RCA präsentieren.
Rochade als Politikum
Politische Nachwehen sind ihm jedenfalls sicher, denn Friedrich Macher gilt als einer der wenigen ÖBB-Manager, die nicht der roten Reichshälfte zuzuordnen sind. Ein „Krieg“ gegen Macher könnte also sehr rasch zum Politikum werden. Zumal die ÖVP in den vergangenen Monaten ohnehin moniert hat, dass die ÖBB personell massiv „errötet“ seien. Aus Protest hat die Volkspartei schon vor Monaten die politisch ihr nahestehenden Aufsichtsräte aus den ÖBB abgezogen.
Kern wird es sich mit der Ablöse Machers wahrscheinlich nicht nur mit der ÖVP, sondern auch mit Teilen der mächtigen Eisenbahnergewerkschaft verscherzen. Denn viele Arbeitnehmervertreter sollen sich in den vergangenen Tagen gegen eine Abberufung Machers ausgesprochen haben. Für die Wirtschaftskrise, die erhebliche Einbrüche im Güterverkehr verursacht, könne Macher nichts, wird argumentiert. Und ansonsten habe der RCA-Vorstand lediglich die Altlasten von seinem Vorgänger Gustav Poschalko übernommen. Poschalko, der inzwischen als Konsulent für die ÖBB werkt, gilt wiederum als SPÖ-Intimus und wird von den Sozialdemokraten offenbar geschützt.
Kern will das dennoch durchziehen. Macher habe es verabsäumt, so sein intern geäußerter Vorwurf, in den zweieinhalb Jahren als RCA-Vorstand die Ungarn-Tochter MÁV Cargo in das Unternehmen zu integrieren.
Mühlstein Ungarn-Tochter
Die ungarische Gesellschaft wurde rund einen Monat, bevor Macher in das Unternehmen kam – also im Jänner 2008 –, von der RCA erworben. Um 400 Mio. Euro – deutlich überteuert, wie sich jetzt herausstellt: Das mittlerweile in „Rail Cargo Hungaria“ umbenannte Unternehmen wird heuer einen Verlust von voraussichtlich 33 Mio. Euro einfahren. Intern heißt es allerdings, dass das Minus auch deutlich höher ausfallen könnte.
("Die Presse" vom 24.11.2010)