Wie Staaten diskret ihre Schulden loswerden

(c) FABRY Clemens
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Forscher warnen: Die "finanzielle Repression" kommt zurück. Wie in der Nachkriegszeit entschulden sich Staaten über negative Realzinsen. Das heimliche Mittel dazu: Regulierung durch Aufsichtsbehörden.

Wien. Es ist ein ziemliches Rätsel, nicht nur für ökonomische Laien: Japan hat eine rekordverdächtige Staatsverschuldung – und lebt damit gar nicht schlecht. Mit 200 Prozent der Wirtschaftsleistung müsste die Bürde erdrückender sein als in Griechenland. Stattdessen beobachten japanische Politiker das apokalyptische Treiben in der Eurozone entspannt aus der Ferne.Sogar Hilfen bieten sie an. Denn die Regierung in Tokio hat keine Probleme, ihre Anleihen zu moderaten Zinsen zu refinanzieren.

Warum? Es heißt, die Japaner legen aus Patriotismus und Xenophobie ihr Geld im Inland an, und Aktien sind ihnen seit der geplatzten Blase vor 20Jahren verleidet. Es gibt aber härtere Fakten: Der Staat sorgt nämlich selbst dafür, dass seine Schuldtitel gekauft werden und die Zinsen darauf niedrig bleiben. Denn Gesetze schreiben den Banken vor, dass sie einen großen Teil ihres Kapitals in „sicheren Anlagen“ zu halten haben.

Zugleich wird geklärt: Dafür kommen nur japanische Bonds infrage. Ausländische Titel sind verboten, selbst wenn das Währungsrisiko gehedgt wird. Durch die künstlich hochgehaltene Nachfrage bleiben die Zinsen für die Schuldpapiere niedrig – ein schlechtes Geschäft für die Banken. Damit sie dennoch auf ihre Spannen kommen, oktroyiert der Staat zusätzlich noch Obergrenzen für Sparzinsen. Das treibt wiederum die privaten Haushalte in seine Arme: Weil sie mit dem Sparbuch nichts lukrieren, kaufen sie noch lieber Staatsanleihen.

Die unbemerkte Zusatzsteuer

Was Nippons Machthaber praktizieren, hat einen Namen: finanzielle Repression. Vor der Liberalisierung der Finanzmärkte war dieser Begriff in aller Munde. Denn ohne die Gängelung der Anleger hätten es weder Europa noch die USA geschafft, ihre Kriegsschulden über drei Jahrzehnte abzutragen. Das haben heuer Carmen Reinhart und Belen Sbrancia in der viel diskutierten IWF-Studie „The Liquidation of Government Debt“ nachgerechnet. Provokant ist ihre These am Schluss: dass die Repression seit Ausbruch der Finanzkrise weltweit eine klammheimliche Renaissance erlebt – und zwar unter dem Deckmantel der Regulierung durch Aufsichtsbehörden, im Dienste stabiler Finanzmärkte und angeblich zum Wohle aller.

Um Schulden wirklich abzubauen, genügen freilich nicht Methoden wie in Japan. Die Inflationsrate muss höher liegen als die niedrig gehaltenen Nominalzinsen, die Realverzinsung also negativ sein. Wer in Anleihen investiert, zahlt dann drauf wie bei einer zusätzlichen Steuer. Umso mehr muss man den Anleger mehr oder weniger sanft zu seinem Unglück zwingen. Dazu wurden ihm in der Nachkriegszeit die Alternativen geraubt. Unter einem Regime fester Wechselkurse und reglementierter Kapitalmärkte war das leicht möglich. Die Zentralbanken erhielten Direktiven, den Leitzins niedrig zu halten. Die „Regulation Q“ in den USA verbot Zinsen auf Sichteinlagen und begrenzte solche auf Sparkonten. Aktienkäufe wurden mit Steuern bestraft, Kapitalabflüsse behindert. Damit konnten die entwickelten Volkswirtschaften etwa die Hälfte der Zeit zwischen 1945 und 1980 die Realverzinsung unter null halten. Die USA und Großbritannien bauten so ihre Schuldenquoten im Schnitt pro Jahr um drei bis vier Prozent der Wirtschaftsleistung ab. Sehr hohe Inflation war dazu gar nicht nötig.

Stress durch BaselIII

Seit 1980 aber haben sich die Finanzmärkte von Fesseln befreit, global geöffnet und international vernetzt. Damit verschwanden (außer in Japan und autoritären Staaten wie China) die Zwangsmaßnahmen. Aber seit der Finanzkrise kommen sie zurück, wenn auch meist auf leisen Sohlen. So werden Pensionsfonds und Versicherungen gezwungen, in Bonds zu investieren. Sie können sich nur das Land aussuchen – etwa raus aus italienischen, rein in deutsche Staatsanleihen. Damit fallen vor allem guten Schuldnern die Früchte in den Schoß: Deutschland hat schon die negativen Realzinsen, die es zum Schuldenabbau braucht – und deutsche Bünde werden dennoch eifrig gekauft.

Ähnlich läuft es bei BaselIII, den neuen Kapitalvorschriften für Banken. Um 30Tage in einem Stressszenario zu überstehen, müssen sie künftig genug „liquide Vermögenswerte hoher Qualität“ halten: Barmittel (undankbar, weil unverzinst) und eben Staatsschulden. Immerhin wird nun überlegt, auch Aktien und Unternehmensanleihen zuzulassen. Das lässt hoffen, dass die Regulierer (noch) nicht unter dem Diktat der Politik stehen. Wie auch nicht ganz klar ist, inwieweit Politiker negative Realzinsen ansteuern oder nur hoffen, in ihren Genuss zu kommen. Denn natürlich kaufen Anleger in sehr unsicheren Zeiten auch freiwillig unrentable Staatsanleihen, solange sie als risikoarm gelten.

Allianz mit Schwellenländern

Gegen diese optimistische Deutung spricht, dass viele Staaten wieder den unmissverständlichen Holzhammer auspacken: Spanien begrenzte im Vorjahr in japanischer Manier die Höhe der Sparzinsen. Frankreich löste kurzerhand einen Pensionsreservefonds auf und leitete die Mittel zur Schuldenfinanzierung um.

Zugleich fürchten aufstrebende Volkswirtschaften wie Brasilien, Südkorea oder die Türkei, dass ihr Erfolg zu einem massiven Zufluss von Kapital führt. Das würde ihre Währungen zu stark machen und ihre Exporte abwürgen. Also holen sie Kapitalverkehrskontrollen aus der Mottenkiste. Und den hoch entwickelten und hoch verschuldeten Staaten ist das nur recht: Sie wollen das Geld im Land halten, damit es in eigene Anleihen investiert wird. Einem solchen globalen Gleichklang politischer Interessen können sich auch moderne Finanzmärkte nur schwer entziehen.

Von all dem merken die meisten Bürger nur wenig. Sie gehen gegen Sparpakete auf die Straße, nicht gegen negative Realzinsen. Zumal dann nicht, wenn ihre Ersparnisse nur schleichend erodieren. So wie beim Frosch von Marc Twain: Wirft man ihn in kochendes Wasser, springt er hurtig aus dem Topf. Erwärmt man das Wasser aber langsam, lässt er sich kochen: Er passt sich so lange an die widrigen Umstände an, bis es für den rettenden Sprung zu spät ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2011)

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