Kapsch: Einmal China und zurück

(c) EPA (Ulrich Perrey)
  • Drucken

Kapsch verlagert ein Werk aus der "Billigfabrik" China zurück nach Österreich. Ein symptomatischer Schritt: Immer mehr Unternehmen holen ihre Produktion nach Europa zurück. Die Globalisierung stößt an Grenzen.

Zwei Stunden lang braust der Katamaran von Hongkong in Richtung Süden, bis er Foshan Shunde erreicht. Im vergangenen Frühjahr hat Ingolf Planer, Finanzvorstand des österreichischen Zugfunkanbieters Kapsch CarrierCom, diesen Trip über die unzähligen Arme des Perlflusses ins Herz der chinesischen Industrie knapp ein Dutzend Mal hinter sich gebracht. Sein Ziel klang stets vielversprechend: „Foshan City, Future Plaza No.1, Room403“. Wer Kapsch in China sucht, wird an dieser verheißungsvollen Adresse fündig. Eine Zukunft hat das Unternehmen für sich im Reich der Mitte aber offenbar nicht gesehen.

Planer pendelte nämlich keineswegs aus Expansionsdrang und Eroberungslust in die Region Südchinas, in der ein Zehntel der Wirtschaftsleistung des Landes geschaffen wird. Im Gegenteil: Er kam, um die Zelte abzubrechen. Die Zugfunkmodule von Kapsch sollten nicht länger in China, sondern 8637Kilometer weiter westwärts produziert werden. In Wien-Liesing, mitten im Hochlohnland Österreich.

Löhne in China steigen stark. Ein gutes halbes Jahr später ist die Rückwärtsrolle der Globalisierung vollendet. Das bestehende Kapsch-Werk in Wien wurde um 600Quadratmeter erweitert. 70.000Leiterplatten in der Stunde und rund tausend Funk-Basisstationen im Jahr fertigt das Unternehmen dort nun. Was in China 500Arbeiter erledigt haben, schaffen hierzulande rund 50Mitarbeiter. Kostenvorteile bietet Österreich freilich nicht: Die Module „made in Austria“ sind bis zu fünf Prozent teurer als jene aus chinesischer Fertigung.

Zweifel an der Rückkehr kommen bei Kapsch dennoch nicht auf. Die niedrigen Lohnkosten, mit denen die 120Millionen Arbeiter der „Billigfabrik“ China stets gelockt haben, seien nur die halbe Wahrheit, erklärt Planer. In Chinas Ballungszentren stiegen die Löhne in den vergangenen Jahren um 15 bis 20Prozent. Der Apple-Zulieferer Foxconn musste die Gehälter im Vorjahr nach einer Serie von Selbstmorden unter den Arbeitern gar verdoppeln. Die gesetzlichen Mindestlöhne stiegen seitdem in 20 chinesischen Provinzen um mindestens 20Prozent. Dazu müsse man die hohe Inflation und die latente Gefahr einer Aufwertung des Yuan bedenken. „Wenn das kommt, ist das Land mit einem Schlag nicht mehr wettbewerbsfähig“, sagt Planer.

Billige Hände, wenig helle Köpfe. Martin Fichtner, Fertigungsleiter bei Kapsch, sieht auch ganz handfeste Vorteile durch die Übersiedlung: „In China gibt es viele billige Hände, aber wenig helle Köpfe“, sagt er. „Hinter jedem Mitarbeiter muss mindestens ein Supervisor stehen.“ Die wenigsten seien bereit, Eigenverantwortung zu übernehmen. Das sei in Österreich anders. Zudem könne er von Wien aus schneller auf die Wünsche seiner überwiegend europäischen Kunden reagieren. Mindestens vier bis sechs Wochen musste er früher warten, bis die Container aus China per Schiff in Wien angekommen seien. War die Lieferung dann mangelhaft, begann das Geduldsspiel von vorn.

Noch ein Argument spricht für die Übersiedlung: Die Sorge vor Industriespionage. China zählt zu den Ländern, in denen westliche Technologien besonders häufig abgekupfert werden. 2009 bezifferte die EU-Kommission Chinas Anteil an den weltweiten Produktfälschungen mit 80Prozent. Auch Kapsch fürchtete um sein Know-how.

Bis vor etwas über einem Jahr produzierte das Werk in Foshan Shunde nicht für Kapsch sondern für Nortel. Erst durch den Kauf der Zugfunk-Sparte der Kanadier fiel dem Unternehmen die Fabrik in den Schoß. Den Großteil seines Wissens hatte Nortel damals schon an den lokalen Partner verloren. „In zwei Jahren hätten wir überhaupt kein Know-how mehr gehabt“, sagt Planer. In Liesing fühle man sich vor Produktpiraten nun weitgehend sicher.


Rückwanderungswelle. Der Abschied des Telekom-Ausrüsters aus China ist symptomatisch. Immer mehr Unternehmen aus Europa und den USA holen ihre Produktion aus dem Land der Mitte zurück. Schon heute kommt fast auf jede zweite deutsche Firma, die ihre Produktion ins Ausland verlagert, ein Betrieb, der wieder zurückkehrt, schätzt das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung. Die Beweggründe ähneln sich meist: steigende Lohnkosten in China, schwache Reaktionsfähigkeit, mangelnde Qualität, Angst vor Know-how-Verlust und politischer Druck auf Investoren. Denn wer in China produzieren will, darf das nur in einem „Zwangs-Joint-Venture“ mit ansässigen Firmen tun. So sichert sich das Land einerseits einen hohen Anteil an lokaler Fertigung und andererseits Zugriff auf das Wissen der westlichen Unternehmen.

Stofftiere und Prozessoren. Prominente Beispiele für den Massenexodus aus der „Billigfabrik“ China gibt es genug: Vor zwei Jahren zog der deutsche Spielzeugkonzern Steiff seine Produktion aus China ab. Asien war einfach zu weit weg, um die Kunden in Europa rasch genug bedienen zu können. Als 2007 der Hype um das Eisbärenbaby Knut ausbrach, dauerte es zu lange, bis Steiff Stoff-Eisbären „made in China“ in die Geschäfte brachte. Heute produziert die Firma in Tunesien und Portugal. Selbst der südkoreanische Konzern Samsung produziert nicht mehr exklusiv in Asien. Der neue Prozessor A5 für Apples iPad2 und das iPhone 4S wird in Texas gebaut. Massenware wie Schuhe oder Bekleidung wird dennoch wohl auch künftig nicht im großen Stil in Europas Fabriken erzeugt werden. Ihre Produktion verlagert sich stattdessen zusehends von China in die angrenzenden asiatischen Staaten. Eine Rückkehr nach Europa hat für technisch anspruchsvolle Produkte Sinn, von denen im Jahr weniger als eine Million Stück gebraucht wird.


Manager als Betriebspsychologen. Wie schwierig sich der Schritt zurück gestalten kann, zeigt das Beispiel Kapsch. Nicht nicht nur Behörden zeigten sich weit weniger zuvorkommend als bei der Ansiedlung. So waren Formulare etwa prinzipiell nur noch in Mandarin erhältlich. Auch jene chinesischen Zulieferer, von denen das Unternehmen auch weiterhin Material, am besten zu selben Preisen, beziehen wollte, zeigten sich von den Abwanderungsplänen stark verunsichert.

Planer verbrachte seine Zeit in China daher kaum im eigenen Werk. „Stattdessen spielte ich meist den Betriebspsychologen für unsere Lieferanten“, erzählt er. Heute ist das Abenteuer Fernost für den Manager weitgehend abgeschlossen: „Für mich ist die beste Reise nach China mittlerweile die, die ich nicht antreten muss.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.01.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.