Banker und ihre 120-Stunden-Wochen

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Eine US-Wissenschaftlerin hat untersucht, warum Banker freiwillig bis zum Zusammenbruch schuften und welche Lehren Investmenthäuser daraus ziehen können.

Wien. Arbeitstage, die regelmäßig bis drei Uhr morgens dauern. Kokain in der Schreibtischlade, um die Strapazen des Jobs besser zu überstehen. Limousinen, die stets für eine Fahrt nach Hause oder zu einem Geschäftsessen vor der Türe warten. Und Wochenenden, die nicht mit der Familie, sondern mit der Arbeit verbracht werden. So oder so ähnlich sehen viele das Arbeitsleben des typischen Investmentbankers.

Die US-Wissenschaftlerin Alexandra Michel hat nun eine Studie über die amerikanische Finanzbranche veröffentlicht. Neun Jahre lang hat sie hunderte Investmentbanker der Millionenmetropole New York interviewt und auf ihrem Weg begleitet. Das Resultat: Das oben beschriebene Klischee trifft in vielen Fällen zu.

60 Prozent richten sich zugrunde

„Die Banker arbeiten regelmäßig 120 Stunden pro Woche, egal ob es viel zu tun gibt oder nicht“, resümiert die Forscherin von der University of Southern California in ihrer Arbeit. Dabei seien es keineswegs die Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten dazu zwingen würden. Vielmehr „entscheiden sich die Banker selbst dafür“, meint Michel und räumt auch gleich mit dem Vorurteil des gut aussehenden, gesunden und erfolgreichen Karrierebankers auf: „60 Prozent der Banker richten sich und ihren Körper zugrunde.“

Tatsächlich, so die Wissenschaftlerin, gebe es in der Branche so gut wie keine vorgegebenen Arbeitszeiten. Im Prinzip können die Beschäftigten kommen und gehen, wann sie wollen. Zudem versüßen ihnen die Arbeitgeber das Leben gerne mit Gratis-Abendessen im Büro, einem hauseigenen Fitnessstudio – das die wenigsten nützen– sowie 24 Stunden täglich zur Verfügung stehenden Limousinen für die Fahrt in die Arbeit oder nach Hause.

Das ändere allerdings nichts an dem immensen Leistungsdruck, den sich die Banker auferlegten. Kaum einer verlasse das Büro vor Mitternacht – ob es noch etwas zu tun gibt oder nicht. Das hat vor allem mit den Charakteren zu tun: „Investmentbanken rekrutieren nur die Besten der Besten von den besten Universitäten“, erklärt Michel. Nicht, weil die Arbeit so fordernd wäre. Sondern weil sich die Arbeitgeber so auf den Einsatz der Auserwählten bis zur Grenze der Belastbarkeit beziehungsweise darüber hinaus verlassen können.

Die körperlichen Folgen des Arbeitsaufwandes zeigten sich in der Regel nach drei Jahren. „So lange profitieren die Banken von der Arbeit ihrer Mitarbeiter“, steht in der Studie. Wer länger als drei Jahre in dem Job bleibt, erkrankt in den Jahren vier bis sechs mit einer 60-prozentigen Wahrscheinlichkeit. Am häufigsten an chronischen Rückenschmerzen, psychischen Problemen, Schlafstörungen, Alkohol- oder Drogensucht. „Meine Kreuzschmerzen waren so schlimm, dass ich Meetings auf dem Boden liegend leiten musste“, zitiert die Studie einen früheren leitenden Investmentbanker.

Michels Studie ist nicht die erste über die Branche der Banker an der Wall Street. Doch ist sie die erste, die das Arbeitsverhalten der Betroffenen über viele Jahre hinweg untersuchte. Deshalb ließen die Ergebnisse laut der Forscherin auch entscheidende Schlüsse für die Unternehmen zu.

Zwangsverpflichtung zur Freizeit

So leiden jene Banker, die derselben Firma sechs Jahre oder länger treu bleiben, zu mehr als neunzig Prozent nicht mehr an den genannten Symptomen. Sie hätten viel mehr ihren eigenen Weg gefunden, mit dem stressigen Job umzugehen. Das beginne bei Kleinigkeiten wie ordentlichen Mittagspausen oder einem freien Abend pro Woche. Dadurch wiederum steigerten die Betroffenen „die Kreativität, die Ethik und langfristig auch die Leistungsfähigkeit“.

Was sollten Geldhäuser also tun, um jungen Bankern den Weg zur Selbstfindung zu erleichtern? Man müsse sogenannte „High Potentials“ nicht erst überzeugen, lange im Büro zu bleiben, schreibt die Studienautorin. Viel wichtiger sei es, sie sprichwörtlich zur Freizeit zu verdammen. „Ein verpflichtender freier Abend pro Woche könnte ein Erfolgsrezept sein“, meint Michel. Einige Investmenthäuser würden diesen Ratschlag bereits befolgen. Bei vielen anderen stehe ein Umdenken noch bevor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2012)

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