Tunnelpläne: Schwarze Löcher, rote Zahlen

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Umstrittene Bahnprojekte belasten kommende Generationen mit gut 55 Milliarden Euro zusätzlichen Staatsschulden und gefährden so die Bonität des Staates. Nennenswerte Einsparungen sind nicht in Sicht.

In der an sich sehr gut aufgestellten heimischen Wirtschaft gibt es zwei „Problembären“, die abenteuerlich ineffizient wirtschaften und deshalb hoch subventioniert werden müssen. Beziehungsweise, das ist Ansichtssache, hoch subventioniert werden und es sich deshalb leisten können, abenteuerlich ineffizient zu wirtschaften. Beide – wir reden von der „übermechanisierten“ Landwirtschaft und den Bundesbahnen – sind beim jetzigen Sparpaket sehr sanft angefasst worden. Was eigentlich verwunderlich ist: Immerhin kostet die Landwirtschaft jedes Jahr den Gegenwert einer durchschnittlichen Steuerreform, die Bundesbahnen den von zwei.

Wer ist für diese Steuergeldverschwendung beziehungsweise für deren Nichtabstellen eigentlich verantwortlich? In Sachen Bundesbahnen versucht ein soeben erschienenes Buch (Hubertus Godeysen, „Österreichs Bundesbahnen – Schwarze Löcher, rote Zahlen“, Edition Va Bene) dieser Frage nachzugehen. Und zeichnet dabei ein (leider direkt aus dem prallen Leben gegriffenes) austriakisches Sittenbild.

Eines, in dem Regionalpolitik und Baulobby den Bahn-Führerstand beherrschen, in dem in der Praxis nicht existierende Verkehrsachsen (wie etwa die Baltisch-Adriatische) mit politischem Druck sogar zu TEN-Projekten (TEN steht für prioritäre transeuropäische Verkehrsnetze) hochlobbyiert werden. Eines, in dem Milliardenprojekte auf Basis völlig unrealistischer Verkehrsprognosen auf dem Weg gebracht werden. Eines, in dem Forschungsinstitute Tunnelprojekte, die sie als unabhängige Gutachter zweifelhaft fanden, plötzlich zu unglaublichen Konjunkturimpulsen hochjubeln, wenn der Auftrag von der „Tunnelseite“ kommt. Kein Wunder, dass die ÖBB darauf ziemlich nervös und auch ein bisschen kindisch reagieren. Etwa mit dem markenrechtlich begründeten Verbot, im Buch das Kürzel ÖBB zu verwenden.

Wie auch immer: Mit „Tunnel“ sind wir jetzt beim Stichwort. Derzeit sind ja – Budgetkrise hin oder her – mit Semmering, Koralm und Brenner drei Riesen-Tunnelprojekte im Laufen, deren verkehrspolitischer Nutzen teilweise ein wenig umstritten ist, um das einmal vorsichtig zu formulieren. Die aber samt Zulaufstrecken und Finanzierung laut Rechnungshof die Bahn- bzw. Staatsschulden in den nächsten Jahrzehnten um „mindestens“ 55 Mrd. Euro erhöhen werden. Eine ganz schöne Hypothek, die da künftigen Generationen umgehängt wird.

Von wem, wollen Sie wissen? Tja, das ist nicht so ganz klar, denn vorsichtshalber sind in der Bahn und im Infrastrukturministerium die Kindeswegleger schon eifrig am Werk. Theoretisch ist die Sache klar: Das als Aktiengesellschaft organisierte Unternehmen ÖBB entscheidet, was gebaut wird, dessen Infrastrukturtochter nimmt die nötigen Kredite auf. Der Staat betätigt sich als Haftungsgeber und ermöglicht der Bahn so, sich vernünftig am Kapitalmarkt zu finanzieren.

So ähnlich sieht das offenbar auch das Infrastrukturministerium. In einer Aussendung dieses Ministeriums hieß es vor Kurzem jedenfalls, es sei „unseriös und sachlich nicht gerechtfertigt“, die Bundeshaftungen für ÖBB-Schulden als budgetwirksam darzustellen. Sind ja nur Haftungen.

Und die ÖBB, die diese Haftungen beanspruchen? Die haben auf eine schriftliche Anfrage Godeysens dankenswerterweise schriftlich geantwortet. Und zwar so: Die Bahn entscheide nicht selbst über ihre Infrastrukturprojekte, sondern werde vom Staat „beauftragt“. Und, wörtlich: „Der Bund zahlt also nicht direkt, wie anderswo in Europa, sondern bedient sich der ÖBB als Finanzierungsinstrument. Die dafür notwendigen Darlehen stehen dann eben in den Büchern der ÖBB und nicht im Staatsbudget.“ Die ÖBB-Schulden seien daher „Schulden im Auftrag der Republik“.

So klar ist von offizieller Seite noch nie bestätigt worden, dass die ganze Konstruktion ganz schlicht dem Verstecken von Staatsschulden dient. Für die Staatsschuldenstatistiker bei Eurostat ist das zwar keine große Neuigkeit, denn dass die derzeit erst teilweise in den Staatsschulden aufscheinenden Bahnschulden bald zur Gänze – wie anderswo in Europa auch – dem Bund zugerechnet werden, steht seit Längerem fest. Da reden wir derzeit immerhin von fast 20 Milliarden Euro, die zügig auf die 30-Milliarden-Grenze zumarschieren. Wenn die Regierung aber ihre rhetorischen Sparbemühungen ernst nimmt, könnte sie also zumindest einmal das geplante explosive Wachstum ihrer (noch) versteckten Schulden stärker einbremsen. Denn so drängend ist die Tunnelorgie auch wieder nicht: Die Baltisch-Adriatische Verkehrsachse ist in der Praxis eine Donau-Drau-Achse und wird das wohl noch einige Zeit bleiben. Und dass der Brenner-Basistunnel unter der bei Weitem nicht ausgelasteten Brenner-Scheitelstrecke prioritär gebohrt werden muss, glauben höchstens ein paar Tunnelbaufirmen.

Zumal dem legendären Ex-Verkehrsminister Hubert „the world in Vorarlberg is too small for me“ Gorbach im Tirolerischen ein Vertrags-Gustostückerl der Sonderklasse gelungen zu sein scheint. Der Brenner-Vertrag sieht ganz so aus, als würden eventuelle Gewinne auf die italienische und eventuelle Verluste auf die österreichische Seite des Alpenpasses rollen. Da noch einmal Luft zu holen und wirkliche Prioritäten zu setzen wäre nicht die dümmste Idee. Zumal das Sparpaket ohnehin schon löcherig wie ein Schweizer Käse ist.


E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2012)

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