IHS-Chef: „Problemländer müssen Löhne schnell senken“

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Der designierte Chef des Instituts für Höhere Studien, Christian Keuschnigg, glaubt, dass Griechenland und Co. die Lohnkosten noch dramatischer und rascher reduzieren müssen als Deutschland vor zehn Jahren.

Wien. Christian Keuschnigg wird am kommenden Montag in Wien als neuer Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS) der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 1. Juni tritt der Ökonom die Nachfolge von Bernhard Felderer an. Im Gespräch mit der „Presse“ erklärt er, warum die Schuldenländer das „Schreckensszenario“ Deflation erleiden müssen, um sich zu sanieren. Und wie Österreich von der Schuldenkrise betroffen ist.

Die Presse: Eines scheint unter Ökonomen klar zu sein: Damit die Eurozone bestehen bleiben kann, müssen Problemländer wie Spanien, Portugal oder Griechenland wettbewerbsfähiger werden. Aber wie sollen sie das schaffen?

Christian Keuschnigg: Die Problemländer müssen die Lohnstückkosten, die ja die Wettbewerbsfähigkeit auf den Exportmärkten bestimmen, stark reduzieren. Das geht über zwei Wege: Lohnreduktion und Steigerung der Arbeitsproduktivität. Die Produktivität zu steigern ist ein sehr langsamer Prozess, der nicht in zwei, drei Jahren passiert. Dazu braucht es Investitionen und Innovationen. Daher müssen zunächst die Löhne in diesen Ländern reduziert werden.

Mit zahlreichen negativen Folgen, die eine Deflationierung der Löhne mit sich bringt.

Mit den Löhnen sinken auch die Arbeitslosengelder und die Alterspensionen. Die Schuldenländer haben jahrelang ihre Einkommen künstlich hochgerechnet, sie waren also nicht durch Produktivitätsgewinne gedeckt. Daher haben diese Länder hohe Zahlungsbilanzdefizite. Steigende Einkommen führen nämlich zu Importen. Exportieren können diese Länder kaum, weil die Lohnstückkosten zu hoch und daher die Produkte nicht wettbewerbsfähig sind. Die südlichen Peripherieländer müssen nun ihre Einkommensansprüche stark reduzieren. Da kommt es auf die Schmerzfähigkeit der Bevölkerung an.

Die überschuldeten Länder müssen also das machen, was Deutschland seit Einführung des Euro getan hat. Können sie das?

Schlimmer. Deutschland brauchte zehn Jahre, um (über Lohnzurückhaltung, Anm.) seinen Wettbewerbsvorsprung halten zu können. Die Problemländer in der Eurozone müssen das jetzt schneller erledigen, es muss größere Lohnreduktionen geben. Durch einige Programme hat es aber schon eine sichtbare Korrektur gegeben.

Sinkende Einkommen bedeuten aber auch, dass alte Schulden schwieriger zu bedienen sind. Die sinken ja nicht.

Wenn Löhne und andere Einkommen sinken, sinken auch die Preise und Häuserwerte, weil sie von der Nachfrage abhängen. Das hat für Haushalte und Unternehmen, die verschuldet sind, gravierende Folgen. Die Schulden sinken nämlich nicht, sie müssen mit geringeren Einkommen zurückgezahlt werden. Viele Schulden werden zu Problemkrediten.

Droht dann gleich die nächste große Bankenkrise?

Die EU-Kommission sagt daher auch richtig: Neben den Lohn- und Sparmaßnahmen etwa in Griechenland müssen gleichzeitig die griechischen Banken rekapitalisiert (also mit frischem Eigenkapital ausgestattet) werden, damit sie mit dieser Situation fertig werden.

Im Grunde passieren alle Sanierungsschritte unter dem Diktat der internationalen Finanzmärkte. Die Geldgeber fordern von finanziell stark belasteten Ländern höhere Risikoprämien ein. Wodurch aber die Zinsen für deren Staatsschulden steigen und die Gefahr der Insolvenz weiter wächst.

Aber da steckt ja keine Böswilligkeit dahinter. Der Kapitalmarkt gibt nur eine Einschätzung ab, ob das Geld, das verliehen wird, zurückkommt oder nicht. Da geht es nicht nur um die „bösen Banken“, sondern auch um Pensionsfonds. Die „normalen“ Bürger, die fürs Alter anlegen, wollen genauso ihr Geld zurückbekommen. Und wenn Anleger Angst haben, dass sie ihr Geld nicht zurückbekommen, müssen sie das in den Zinsen einpreisen. Damit wird für die Staaten ein neues Problem geschaffen. Das ist eine Vertrauensfrage. Es kommt daher darauf an, dass diese Länder in ihren Sanierungsprozessen nicht locker lassen.

Mit dem Vertrauen ist es in der Eurozone aber so eine Sache: Die Maastricht-Kriterien werden verletzt, schlingernde Eurostaaten werden trotz Verbot von anderen gerettet, die Europäische Zentralbank kauft Staatsanleihen von Schuldenländern auf...

... Das kann man so sehen. Es gibt aber auch Besserungen. Durch den neuen Fiskalpakt wird die EU etwa die Budgets der Länder viel stringenter und grundlegender beobachten. Für den Bestand der Eurozone ist auch ein anderer Umstand wichtig: Wenn etwa Spanien Rettungsgeld vom ESM („Euro-Rettungsschirm“) braucht, kommt automatisch auch der Internationale Währungsfonds (IWF) ins Land. Dann werden Reformen erzwungen, die die Politik zuvor nicht umsetzen konnte.

Glauben Sie, dass die Eurozone in drei Jahren noch in der aktuellen Besetzung bestehen wird?

Spanien ist sicher ein Problemland. Die Immobilienpreise sinken, es wird daher schwieriger für Unternehmen und Haushalte, die Schulden zurückzuzahlen. Es gibt hier große Risken. Es könnte also sein, dass Spanien sich nur mit einem Austritt aus der Eurozone befreien kann. Das kommt dann auch einem Schuldenschnitt gleich. Ich glaube aber nicht, dass es schon dazu kommen wird.

Wenn das Vertrauen in die Eurozone schwindet, müssen deren Mitglieder höhere Zinsen zahlen. Wie stark hängt das Wohl Österreichs von anderen Problemländern ab?

Die Gefahr, dass Österreich von anderen Problemländern angesteckt wird, ist nicht so groß. Die Banken sind eher in Osteuropa und nicht in der südlichen Peripherie engagiert.

Aber ein Land der Seligen ist Österreich ja auch nicht mehr, wie eine Ratingagentur kürzlich verdeutlicht hat.

Österreich hat finanzpolitische Risken. Die Staatsschuld liegt bei über 70 Prozent. Die Frage ist, wie der Staat die Finanzschuld in Zukunft bedienen kann. Es gibt hierzulande ein gutes Wachstumspotenzial. Aber das Problem ist der öffentliche Sektor, vor allem die Ausfinanzierung des Pensionssystems. Da kommen in Zukunft riesige Ausgabenansprüche auf den Staat zu, für die noch nicht vorgesorgt wurde. Der Staat hat also Versprechen für die Zukunft gemacht, deren Finanzierung unklar ist. Die „implizite Staatsschuld“ liegt viel höher als bei 70 Prozent.

Laut Ökonomen liegt die implizite Staatsverschuldung bei 200 bis 300 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Die Berechnungen dafür sind sehr sensibel. Faktum ist, dass die Pensionsversprechen ein Problem darstellen. Daher ist es notwendig, das Ruhestandsalter hierzulande deutlich anzuheben. Das ist die primäre ökonomische Maßnahme, mit der man der Alterung der Gesellschaft begegnet.

Zur Person

Christian Keuschnigg ist Professor für öffentliche Finanzen an der Universität St. Gallen. Ab Juni übernimmt er den Posten von Bernhard Felderer als Chef des IHS (Institut für höhere Studien).

Der 52-jährige Tiroler bezeichnet sich selbst als liberalen Ökonomen.
In seinem Buch „Reform des Wohlfahrtsstaates Österreich“ schreibt er über das voraussichtliche Ende des Sozialstaates in seiner heutigen Form.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2012)

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