Versunken im Milchsee

(c) AP (Christof Stache)
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Wenn Markt- und Planwirtschaft zusammenstoßen, hat Letztere ein Problem. Die Krise der europäischen Milchbauern lässt sich deshalb nicht mit Versatzstücken aus der Agrarmottenkiste lösen.

Vor einigen Wochen sind in Wien hunderte Traktoren um den Ring gekreist, gestern waren die Milchbauern in Brüssel unterwegs. Der Grund: Der Milchpreis ist europaweit dramatisch gefallen. Und um 20 Cent pro Liter kann man nun einmal keine Qualitätsmilch produzieren. Das sieht man ein.

Die Bauern drohen jetzt sogar mit einem europaweiten „Milchlieferstreik“. Das wiederum ist eine hervorragende Idee. Zeigt sie doch, dass sich erste marktwirtschaftliche Ansätze in den planwirtschaftlichen Agrarbolschewismus einzunisten beginnen. Denn Überproduktion bekämpft man normalerweise – Bingo! – mit Produktionseinschränkungen.

Auf dem Weg dahin müssen die Agrarier noch ein wenig arbeiten. Ähnliche Probleme mit der Kapazitätsauslastung plagen derzeit ja auch noch andere Branchen. Man hat aber noch nicht gehört, dass etwa Opel-Beschäftigte in Brüssel mit ihren Kleinwagen einen „Auto-Corsa“ veranstalten, um für eine Anpassung von Lieferquoten zu demonstrieren. Schon deshalb nicht, weil selbst der schlichteste Opel-Werker nicht auf die Idee kommen würde, dass ein System funktionieren könnte, bei dem irgendwelche Funktionäre den Unternehmen vorschreiben, wie viele Autos sie abliefern dürfen.

Genau das ist aber in der Milchwirtschaft der Fall. Hier stoßen altbackene Planwirtschaft (aufseiten der Produzenten) und Marktwirtschaft (aufseiten der Abnehmer) zusammen. Wie das Match Plan gegen Markt normalerweise auszugehen pflegt, hat man zuletzt in einem großen Feldversuch 1989 in Osteuropa studieren können.

Leider hat sich das noch nicht bis in die Agrarbürokratie herumgesprochen. Bei einem Milchkongress in der Steiermark hörte man gestern jedenfalls viele Versatzstücke aus der Mottenkiste (etwa „Quoten“, „Mengensteuerung“, „Intervention“, „Exporterstattung“, „Beihilfenaktivierung“ etc.). Also lauter Dinge, die ganz offenbar nicht funktionieren und zur jetzigen Situation geführt haben. Was man weniger hörte, war „Markt“ (außer natürlich in Zusammenhang mit „Ordnung“).

Das lässt nichts Gutes erahnen. Denn die Milchwirtschaft hat (was die Agrarfunktionäre natürlich wissen) ein gröberes Strukturproblem: Die Nachfrage sinkt. Und sie wird sich nicht so schnell erholen. Unter anderem auch deshalb nicht, weil die Lebensmittelindustrie in großem Stil Milchsubstitution (etwa durch Kunstkäse, Mahlzeit!) betreibt.

Die so entstandenen Überkapazitäten lassen sich weder durch Mineralölsteuersenkungen (wie in Deutschland) noch durch irgendwelche Marktinterventionen beseitigen. Sondern nur durch marktorientierte Kapazitätsanpassung. Das ist ein schmerzhafter Prozess, der unternehmerisches Handeln erfordert. Etwa den Einsatz von konkurrenzfähigen Unternehmensformen, die die Produktion von der kleinstrukturierten „Höfewirtschaft“ lösen.

So ein Prozess muss natürlich, wenn er nicht zur Verödung von Landstrichen führen soll, finanziell gefördert werden. Das Geld dafür ist zweifellos vorhanden: Wer in die Agrarsubventionsdaten der EU blickt, der sieht, dass die milliardenschwere Agrarförderung derzeit ja genau das Gegenteil von dem ist, was sie vorgibt zu sein. Gefördert wird weniger die Erhaltung der kleinbetrieblichen Struktur in schwierigen Produktionslagen. Die größten Empfänger sind vielmehr Agrarindustrien, Zuckerwasserhersteller, Landadelige und Vereine, die „Kleinen“ fassen nur Almosen aus. Da gibt es wohl noch viel Spielraum für Umschichtungen. Man muss nur wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2009)

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