Euro-Zone: Den Wagen vor das Pferd gespannt

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Warum die geplante europäische Schuldenagentur den gleichen Konstruktionsfehler wie der Euro aufweist - und wie ein ÖBB-»Weihnachtswunder« zum Schuldenabbau beiträgt.

Nach dem Euroschutzschirm kommen jetzt auch noch die Eurobonds: Die Finanzminister der Eurozone versuchen verzweifelt, das Auseinanderbrechen der Gemeinschaftswährung zu verhindern. Und der Zustand des Patienten Euro ist wohl ernster, als man uns weiszumachen versucht.

Hoffen wir, dass das alles gut geht. Denn was ein Auseinanderbrechen des Euro für den Wohlstand und die Arbeitsplätze in den Mitgliedsländern bedeuten würde, wollen wir uns lieber nicht ausmalen. Allerdings ist die Hoffnung vage. Denn die Finanzminister löschen zwar hektisch einmal da und einmal dort, aber sie gehen den eigentlichen Brandherd – eine Gemeinschaftswährung ohne Gemeinschaftspolitik – nicht an.

Die Eurobond-Geschichte soll nach den jetzigen Plänen so ablaufen: Auf europäischer Ebene wird eine Finanzierungsagentur gegründet, die am Markt Geld aufnimmt und damit Mitgliedstaaten finanziert. Die Zinsen wären niedriger als etwa jene, die Portugal und Irland bezahlen müssten. Aber höher als jene, die „brave“ Länder, etwa Deutschland, dafür berappen müssten.

Ob das in Deutschland mehrheitsfähig ist, wo die Bevölkerung ohnehin schon murrt, dass sie die „wilde Party“ (FAZ) der Region Euro-Süd finanzieren soll, während sie selbst Disziplin übt, sei einmal dahingestellt.

Schlimmer aber: Die europäische Finanzierungsagentur hätte den gleichen Konstruktionsfehler wie der Euro selbst. Eine gemeinsame Verschuldungsmaschine für eine gemeinsame Währung ohne gemeinsame politische Strukturen – und damit ohne die Möglichkeit, eine halbwegs konsistente Wirtschaftspolitik durchzusetzen.

Das kann und wird ebenso wenig funktionieren wie die Maastricht-Stabilitätskriterien, die den Euro hätten stark machen sollen – die aber leider niemand ernst genommen hat.

Die Ursünde geschah in den Neuzigerjahren, als der Euro überhastet eingeführt wurde. Es wurde damals eine Gemeinschaftswährung in der Hoffnung geschaffen, dass die Macht des Faktischen die entsprechenden politischen Strukturen automatisch nachliefern wird.

Man hat, wie es ein deutscher Kommentator kürzlich formulierte, den Wagen vor das Pferd gespannt – und wundert sich jetzt, dass die Karre immer wieder stecken bleibt. Jetzt weiß man: Eine Gemeinschaftswährung kann mit 16 auseinanderdriftenden, nur auf den eigenen Vorteil schauenden Regierungen nicht funktionieren. Sie braucht so etwas wie bundesstaatliche Strukturen. Eine Europäische Zentralbank ohne wirtschaftspolitische Durchgriffsrechte ist dafür zu wenig.


Das Gleiche wird aber auch für die gemeinsame Schuldenagentur gelten, die die Eurobonds emittieren soll: Wenn sie nur als Goldesel für Pleitestaaten agiert, dann wird sie das drohende Zerbrechen der Eurozone eher beschleunigen.

Die Eurorettung wird also nur funktionieren, wenn es den Regierungen gelingt, parallel zu den Akutrettungsaktionen gemeinsame politische Strukturen aufzubauen. Das ist, weil es ja mit erheblichen Souveränitätsverlusten der Einzelstaaten verbunden wäre, noch nirgends zu sehen.

Mit dem derzeitigen politischen Personal in der Eurozone wird das auch schwierig zu machen sein. Das schafft es ja nicht einmal, die Grundabsurdität der derzeitigen Krisensituation aufzulösen – dass nämlich die Eurostaaten unter ihrem Rettungsschirm praktisch explizite Garantien für ihre Staatsschuld genießen, einige von ihnen den Geldgebern aber trotzdem sehr hohe Risikoaufschläge für nicht vorhandenes Risiko löhnen müssen. Am Anfang aller Sanierungsbemühungen hätte also der „Haircut“ bei Anleihen der Krisenländer zu stehen. Und erst danach der Start einer europäischen Schuldenagentur.

Damit das Ganze nicht zu depressiv wird: Finanzminister, aufgepasst! Ausgerechnet die ÖBB haben die Lösung für die europäische Schuldenkrise gefunden. Die haben vor ein paar Tagen ausgesendet, dass bei Bahn-Investitionen zwischen 80 und mehr als 100Prozent der Investitionssumme diese als Steuern an den Staat zurückfließen. Und: „Volkswirtschaftliche Studien von Wifo/IHS/Joanneum haben erkannt, dass ein investierter Euro in die ÖBB-Infrastruktur rund zwei Euro an Wertschöpfung für die österreichische Wirtschaft bedeutet. Das Ergebnis: Eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um 72 Mrd. Euro.“ Ende des Zitats.

„Presse“-Leser B. aus dem Finanzministerium nennt das ein „Weihnachtswunder“ und fragt sich, wieso die ÖBB bei diesen „sensationellen Effekten“ nicht mehr investieren. Das fragen wir uns auch. Immerhin würde so gesehen laut den Berechnungen der diversen von der Bahn beauftragten Milchmädchen eine Verzehnfachung der Bahn-Investitionen auf, sagen wir, 23 Mrd. Euro im Jahr (die paar Milliarden Schulden gehen sich auch noch aus) das Bruttoinlandsprodukt dann um satte 720 Mrd. Euro erhöhen. Je mehr die Bahn auf Pump ausgibt, desto stärker würde also selbst bei Einrechnung der ausgelagerten Bahnschulden ins Budget die (in Prozent des BIPs angegebene) Schuldenquote sinken. Genial, nicht? Dass auf diese Lösung der Schuldenkrise sonst noch niemand gekommen ist!


josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2010)

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