Schuldenkrise: Münchhausen als Bilanzbuchhalter

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Die absehbare Umschuldung Griechenlands könnte eine neue Weltfinanzkrise auslösen, weil die internationalen Großbanken noch nicht so stabil sind, wie ihre schöngerechneten Bilanzen glauben machen.

Der „Haircut“ für die Besitzer griechischer Staatsanleihen ist nur noch eine Frage der Zeit. Es geht ganz offensichtlich nicht mehr darum, ob die Staatsschuld „umstrukturiert“ wird, sondern ob die Gläubiger 40, 50 oder 60 Prozent „ablegen“ müssen.

Notenbanker und Politiker sagen derzeit zwar noch anderes, aber das hat nichts zu bedeuten: Sie haben auch „vollständig ausgeschlossen“, dass Irland und Portugal Hilfe von außen brauchen werden, und sie haben die Möglichkeit erhöhter Inflation in der Eurozone als Hirngespinst abgetan. Sie erinnern somit ein wenig an jenen irakischen Regierungssprecher, der als „Comical Ali“ berühmt geworden ist, als er im TV von einer vernichtenden Niederlage der amerikanischen Invasoren erzählte, während im Hintergrund, mitten in Bagdad, gerade ein amerikanischer Panzer ins Bild fuhr.

Neuerdings beginnen aber auch EZB-Granden ihre Frohnatur zu verlieren: Der Chefvolkswirt der Euro-Notenbank, Jürgen Stark, sagte diese Woche, eine Umschuldung Griechenlands müsse auf jeden Fall verhindert werden, weil sie auf den internationalen Finanzmärkten einen Knall auslösen könnte, gegen den die Lehman-Pleite ein laues Lüftchen war.

Das verwundert jetzt ein bisschen: Griechenland ist ein relativ kleines Land, die Schulden sind im internationalen Maßstab ein „Klacks“. Für die hauptbetroffenen Großbanken (siehe Grafik) sind drohende Abschreibungen von ein paar hundert Millionen zwar nicht lustig, aber durchaus verkraftbar. Deshalb bricht nicht gleich die Finanzwelt zusammen.

Zudem geht es den Banken ja blendend: Der Pulverdampf der Lehman-Implosion war kaum verflogen und die Staaten hatten ihre Bankenrettungsmilliarden noch nicht einmal richtig in ihre Budgetdefizite eingebucht, da wiesen die internationalen Banken schon wieder Milliardengewinne aus. Und ihre so gesehen zweifellos erfolgreichen Chefs schütteten sich schon wieder mit unanständig hohen Bonuszahlungen für diesen Erfolg zu. Diese superprofitablen Finanzgiganten sollen den Griechen-Klacks nicht ohne neue Insolvenzgefahr aushalten?

Da stellt man sich natürlich die Frage: Was weiß der EZB-Chefvolkswirt, was viele von uns nicht wissen? Und wir verraten auch die Antwort: Er weiß, wie diese Bankengewinne zustande kommen. Es ist ihm bekannt, dass Nachkommen des Barons von Münchhausen Chef-Bilanzbuchhalter in den Großbanken geworden sind. Und dass nur mehr einer weiß, wie es einer Bank wirklich geht: der Bilanzbuchhalter selbst. Für alle anderen haben Bankbilanzen keine besondere Aussagekraft mehr.

Möglich wurde das, weil sich die internationale Bankenlobby 2008 mit einem Killerargument durchgesetzt hat: Die damals übliche „Mark to market“-Bewertung (also die Vermögensbewertung nach nachvollziehbaren Marktwerten) wirke „prozyklisch“, verstärke im Kursverfall die Verluste und bringe damit das Welt-Finanzsystem in Gefahr. Die Lösung: Produkte, die man im Portfolio hat, die aber, weil sie wertlos sind, keiner haben will (für die es also keinen Markt gibt), können seither in Ausnahmesituationen (wie der laufenden Finanzkrise) relativ bequem zwischen Anlage- und Bankbuch hin- und hergeschoben werden.

Und sie dürfen „Mark to model“ bewertet werden. Das heißt, der am Markt nicht feststellbare (weil nicht vorhandene) Wert kann auf Basis interner Bewertungsmodelle errechnet werden. Und das beste: Die internen Berechnungsannahmen müssen nicht veröffentlicht werden.

Das ganze ist natürlich viel komplizierter, der Platz für einen „Crashkurs Bankbilanzierung neu“ reicht hier nicht. Uns bleibt nur die volkstümlich verkürzte Zusammenfassung: Im Prinzip kann jetzt jeder in seine Bankbilanz hineinschreiben, was er will. Er kann beispielsweise Kurssteigerungen ergebniswirksam als Gewinn verbuchen und gleichzeitig Totalverluste hinter selbst errechneten „Werten“ verstecken. Sehr Vertrauen erweckend!

Damit ist jetzt auch klar, wieso der EZB-Chefvolkswirt Nerven zeigt. Er weiß, dass der Pleite-Schrott, der die Bankenkrise ausgelöst hat, zu sehr hohen Anteilen noch wertlos wie eh und je in den Kellern der Banken schlummert, in den schöngerechneten Bilanzen aber nicht zu sehen ist. Und dass das potemkinsche Dorf namens „profitabler Bankensektor“ in Wirklichkeit noch auf sehr tönernen Fundamenten steht.

Die Lehman-Pleite ist zur Welt-Finanzkrise geworden, weil Banken einander (zu Recht) nicht mehr trauten und so das Interbankengeschäft, also sozusagen den Blutkreislauf der Branche, zum Stillstand brachten. Das kann – auch aus relativ geringem Anlass wie der Griechenland-Pleite – jederzeit wieder passieren, so lange Zahlenwerke der Banken so wenig Vertrauen erweckend sind. So gesehen hat der EZB-Chefvolkswirt mit seiner Warnung natürlich recht.


E-Mails: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2011)

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