Ob Bahn, Telekom oder E-Wirtschaft: In Österreich lösen Liberalisierungen stets Kreativitätsschübe aus. An Ideen, wie Staatsbetriebe vor bösem Wettbewerb geschützt werden können, mangelt es jedenfalls nicht.
Das Projekt ist auf Schiene – im wahrsten Sinn des Wortes: Ende nächsten Jahres will der Industrielle Hans Peter Haselsteiner mit seiner „Rail Holding“ als privater Bahnunternehmer starten – die Bahnliberalisierung macht's möglich. Vor Jahren schon ist der ehemalige ÖBB-Manager Stefan Wehinger mit Plänen für ein privates Bahnunternehmen an Haselsteiner herangetreten, und seitdem ist viel geschehen: Bereits Ende 2008 wurde die Holding gegründet, gleichzeitig wurde deren erste Tochtergesellschaft, die Westbahn Management GmbH, aus der Taufe gehoben. Sie zählt bereits 220 Mitarbeiter. Vom Zeitplan her läuft also alles bestens.
Als Ex-ÖBBler weiß Wehinger wohl auch zu genau, wie man es nicht macht: Jedenfalls verspricht das neue Bahnunternehmen auf seiner Homepage Reisekomfort vom Feinsten: „Europas modernste Züge, die die Kunden rasch und sicher an ihr Ziel bringen“ etwa. Oder: „Eine Bestuhlung, die so bequem ist, dass Pendler auf dem Weg zur Arbeit noch einmal volle Kraft während eines Nickerchens schöpfen können“ – ein Szenario, das bei so manch leidgeplagtem ÖBB-Kunden für Tränen der Rührung sorgen wird. Und nicht zu vergessen: „In jedem Waggon ein Kundenbetreuer, der dafür sorgt, dass es den Gästen an nichts fehlt.“ So gesehen ist es fast schade, dass die Fahrt Wien–Salzburg nur zweieinhalb Stunden dauern soll.
Willkommen im Bahnfahrer-Paradies. Jetzt muss die Sache nur noch Realität werden. Doch da spießt es sich gewaltig. Und zwar deswegen, weil Wehinger in seinem Businessplan eine Geldquelle eingeplant hat, die – wie sich jetzt herausstellt – keinesfalls gesichert ist: Es geht um die vom Bund jährlich bezahlten Millionen für sogenannte „Gemeinwirtschaftliche Leistungen“ der Bahn.
An sich eine klare Sache: Jahr für Jahr erhält die Bahn einen hohen dreistelligen Millionenbetrag dafür, dass sie Tarife für Kunden „attraktiv und leistbar“ gestaltet und „das hohe Niveau im öffentlichen Schienennahverkehr“ aufrechterhält. 2008 etwa war das dem Bund 674 Millionen Euro wert – immerhin wird damit ja auch ein umweltfreundliches Verkehrsmittel forciert. Gutes Geld für eine gute Sache, also.
Aber offenbar nicht für alle. Denn obwohl die Beträge für „Gemeinwirtschaftliche Leistungen“ bisher jedes Jahr neu ausverhandelt wurden, soll jetzt alles anders werden: ÖBB-Chef Christian Kern himself arbeitet derzeit mit dem Verkehrsministerium an einer Neuordnung der entsprechenden Verträge. Dabei geht es Kern zufolge um „mehr Transparenz im System“. Und wie's der Zufall so will, soll dieses neue System auch gleich für längere Zeit festgezurrt werden – angeblich für bis zu 15 Jahre. Ein Schelm, wer da mutmaßt, dass die neue Konkurrenz damit vor vollendete Tatsachen gestellt wird – und durch die Finger schauen soll.
Stefan Wehinger ist offenbar so ein Schelm. Jedenfalls lässt er, wie er sagt, die Angelegenheit gerade von seinen Juristen prüfen. Immerhin gehe es um keine Kleinigkeit, sondern „um 15 bis 20 Millionen Euro für die Westbahnstrecke“. Und seiner Meinung nach ist „der Anspruch unseres Bahnunternehmens klar“. Was ÖBB-Chef Kern zu einem süffisanten Seitenhieb verleitet: „Wir sind in der Lage, diese Strecke wirtschaftlich zu führen. Ich finde es bemerkenswert, dass ein privater Anbieter dafür öffentliche Zuschüsse verlangt.“
Eine ziemlich vertrackte Angelegenheit, doch Haselsteiner und Wehinger hätten es wissen müssen: Mit Liberalisierungen ist das in Österreich immer schon so eine Sache gewesen. Egal, um welche Branche es sich handelte: Auf dem Papier wurden Liberalisierungen hierzulande immer brav durchgeführt – schon um den gestrengen Vorgaben der EU Genüge zu tun. Doch hinter den Kulissen wurde stets gekonnt getrickst – um die betroffenen Staatsunternehmen vor den bösen neuen Mitbewerbern zu schützen.
Helmut Schönthaler kann davon ein Lied singen, schließlich hat er die Telekom-Liberalisierung 1998 hautnah miterlebt – als Chef des damals neuen Telekomanbieters UTA, seinerzeit im Besitz der Landesenergieversorger. Spannende Zeiten müssen das gewesen sein, so man sich für die Finessen der Juristerei begeistern kann. Schönthaler: „In den Rechtsabteilungen der neuen privaten Anbieter waren mehr Leute beschäftigt als im Kundendienst.“
Die neuen Mitbewerber der Telekom Austria suchten im Verband Alternativer Netzbetreiber Zusammenhalt, Schönthaler fungierte dort als Präsident. Und hatte beim „Kampf gegen Windmühlen“ alle Hände voll zu tun.
Die Telekom Austria saß jedenfalls eindeutig am längeren Ast, in jeder Hinsicht. Zum Beispiel bei den Leitungsgebühren für den direkten Zugang zu den Haushalten. Sie waren jahrelang so hoch angesetzt, dass kleine Anbieter den Konsumenten im Endeffekt kaum günstigere Angebote machen konnten. Finanziell hatte die Telekom sowieso den längeren Atem: Bescheide der Regulierungsbehörde, die niedrigere Gebühren festlegten, wurden von der Telekom regelmäßig beeinsprucht. Ein herrliches Spiel auf Zeit, das die Mitbewerber jede Menge Geld und letztlich wertvolle Kunden kostete.
Völlig machtlos waren die neuen Telekomfirmen auch bei den großzügigen – allerdings offiziell untersagten – Rabatten der Telekom Austria. Schönthaler: „Wir haben natürlich unzählige Klagen eingebracht, aber die Vorwürfe muss man in einem Prozess erst einmal beweisen können.“ Auf Unterstützung „von oben“ konnte jedenfalls nicht gebaut werden. „Die Politik hat die Telekom Austria ganz offensichtlich geschützt“, sagt Schönthaler, „das Unternehmen sollte ja an die Börse gebracht werden.“
Das Ende der Geschichte: Von unzähligen Festnetzanbietern, die damals der Goldgräberstimmung anheimgefallen waren, ist nur mehr eine Handvoll übrig geblieben. Auch die UTA gibt es nicht mehr: Nachdem ihr Partner Swisscom nach wenigen Jahren entnervt ausstieg, war auch das Schicksal der UTA besiegelt: Sie wurde an Tele2 verkauft.
Das Abenteuer UTA war für die Landesenergieversorger also wenig erbaulich. Lustigerweise waren aber just die Landesversorger keineswegs faul, als es darum ging, ihre Reviere zu verteidigen. Als Anfang 1999 in Österreich begonnen wurde, den Strommarkt zu liberalisieren, war in der Branche jedenfalls Feuer am Dach: ÖVP-Wirtschaftsminister Johannes Farnleitner wurde von hochrangigen Branchenvertretern quasi bedroht – er solle sich gefälligst um die Molkereiwirtschaft kümmern und die Strombranche in Ruhe lassen.
Die Liberalisierung kam natürlich trotzdem. Und verursachte einen regelrechten Kreativitätsschub in der Branche: An Schikanen wurde wirklich nichts ausgelassen.
Da wurde der beliebte Trick mit den hohen Gebühren für die Durchleitung von Strom angewendet – bis der deutsche Stromkonzern EnBW, der in Deutschland mit seiner Marke „Yello“ Furore machte, erbost sein Wiener Büro sperrte und Österreich den Rücken kehrte. Da wurde Stromregulator Walter Boltz, dem einsamen Prediger für mehr Wettbewerb, der Rechnungshof auf den Hals gehetzt. Da mussten Kunden, die den Stromversorger wechseln wollten, zwölf Wochen Wartezeit in Kauf nehmen – sofern sie ihrem künftigen Versorger eine notariell beglaubigte Vollmacht übermittelt hatten.
Im Strommarkt des Jahres 2010 geht es beschaulich zu: keine ausländischen Anbieter, der Wettbewerb hält sich in sehr engen Grenzen. Aber liberalisiert ist er.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2010)