Rechtsstreit: „Ratingagentur“ vor dem Kadi

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Hunderte durch die insolvente Investmentfirma AvW geschädigte Anleger begehren Schadenersatz. Jetzt erstmals auch von einer Auskunftei: Die Ratingagentur Dun & Bradstreet bescheinigte AvW einst beste Bonität.

Die Welt der Wirtschaftsauskunfteien ist keine wirklich glamouröse. Das Geschäft mit Informationen über Unternehmen ist natürlich wichtig. Aber eben auch recht trocken und beschaulich.

Bis jetzt. Dieter Bodingbauer hat nämlich gerade Mörderstress am Hals. Er ist Chef der weltweit führenden Wirtschaftsauskunftei Dun & Bradstreet in Österreich. Und ist plötzlich Protagonist in einem Monsterprozess. Als Beschuldigter. 691 Anleger, die dank der insolventen Investmentfirma AvW Millionen verloren haben, begehren Schadenersatz von D&B – rund zehn Millionen Euro.
Das wird spannend – wie sogar jene Anwälte, die 40 Sammelklagen gegen D&B eingebracht haben, zugeben müssen. „Wir befinden uns auf juristischem Neuland“, sagt Anwalt Michael Bauer, der insgesamt 1500 geschädigte AvW-Anleger vertritt. „Wir haben auch Klagen gegen den Wirtschaftsprüfer und die Republik eingebracht“, erklärt sein Kollege Arno Likar, der rund 1300 Anleger unter seiner Obhut hat. „Aber am interessantesten werden die Verfahren gegen Dun & Bradstreet.“

Tatsächlich ist die Frage nach der Verantwortung der Wirtschaftsauskunftei eine, über die sich trefflich streiten lässt. Auf der einen Seite: Dieter Bodingbauer, der das Gefühl hat, mit den Klagen wie die Jungfrau zum Kind gekommen zu sein. Auf der anderen Seite: zahlreiche erboste Anleger, die D&B nicht so einfach aus der Verantwortung lassen wollen.

Unerfreulich sind die Ereignisse jedenfalls für beide Seiten. Sie gehen auf das Jahr 2008 zurück. Damals wandte sich die Investmentfirma AvW an Dun & Bradstreet und begehrte Auskunft darüber, wie ihre Bonität bewertet werde. Ein durchaus üblicher Vorgang. Bodingbauer: „Wir erhalten tausende solcher Anfragen.“ Und jedes von D&B bewertete Unternehmen habe das Recht auf sogenannte „Selbstauskunft“. Einmal im Jahr sogar kostenlos.
AvW-Chef Wolfgang Auer-Welsbach konnte jedenfalls zufrieden sein: Dun & Bradstreet hatte seiner Firma die Bestnote „5A1“ verpasst.

Über den weiteren Verlauf der Ereignisse scheiden sich die Geister: Tatsache ist, dass AvW die Bonitätsbewertung dazu verwendete, um Anlageprodukte zu bewerben – in Prospekten und auf der Homepage. Bodingbauer sagt, er habe davon keine Ahnung gehabt. Die Anlegeranwälte sehen das anders: „Das ist extrem unglaubwürdig“, meint Anwalt Likar. „Eine so bekannte Firma wie AvW wirbt mit dem D&B-Rating und die wollen das nicht mitbekommen haben?“ Auch für Anwalt Bauer ist das „schwer zu glauben. Es ist ja eher nicht davon auszugehen, dass solche Ratings daheim im Weinkeller aufgehängt werden. Sondern natürlich veröffentlicht werden.“
Die Anleger hätten sich jedenfalls auf das Urteil der international renommierten Auskunftei verlassen. Und gekauft.

Dann überschlugen sich die Ereignisse: Im Oktober 2008 gab es erste Meldungen in Zeitungen, wonach es im AvW-Gebälk ordentlich kracht. Und D&B zog die Reißleine: Die Bewertung der AvW-Gruppe wurde ausgesetzt.
Für die Anleger kam das freilich zu spät. Im April 2010 wurde Auer-Welsbach festgenommen, wenige Tage später bestätigte Gutachter Fritz Kleiner den üblen Verdacht: Die AvW-Bilanzen waren gefälscht. Kurz darauf schlitterte AvW in die Insolvenz.

Wolfgang Auer-Welsbach wurde Anfang 2011 wegen Betrugs zu acht Jahren Haft verurteilt. Doch für die Anleger ist die Geschichte damit keinesfalls zu Ende. Sie wollen ihr Geld zurück.

Ob sie bei Dun & Bradstreet an der richtigen Adresse sind, ist halt die Frage. Bodingbauer stellt sich auf den Standpunkt, dass er selbst quasi Opfer der üblen Machenschaften Auer-Welsbachs sei. „Dass die AvW-Bilanzen, die wir zur Erstellung unserer Berichte herangezogen haben, gefälscht waren, wussten zu diesem Zeitpunkt weder wir, noch wusste es sonst jemand in Österreich.“ Die Bilanzen seien mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk des Wirtschaftsprüfers versehen gewesen, außerdem habe man sich darauf „verlassen, dass die Finanzmarktaufsicht ihrer Aufsichtspflicht ordnungsgemäß nachkommt“.

Klingt einleuchtend. Dennoch fragen sich vermutlich nicht nur die gegnerischen Anwälte: Wozu ist eine Wirtschaftsauskunftei eigentlich gut? Wie kommen ihre Bewertungen zustande? Verlassen sie sich bei ihren Beurteilungen bloß auf Einschätzungen anderer?

Das ist tatsächlich der springende Punkt. Für die Anwälte ist klar: D&B sei eine „Ratingagentur“, die ihre Arbeit denkbar schlecht gemacht habe. „Die haben sich einfach auf die Testate für die Bilanzen verlassen – und selbst die gefälschten Zahlen falsch beurteilt“, meint Jurist Likar.
Dagegen erhebt Bodingbauer Einspruch: „Wir sind keine Ratingagentur“, betont er. Diese würden mit ihren fundamentalanalytischen Recherchen nämlich fundierte Unterlagen für Anlageentscheidungen liefern. Die Aufgabe einer Wirtschaftsauskunftei hingegen sei bloß die Unterstützung von Unternehmen bei der Beurteilung ihrer Geschäftsrisken. Sie würden einen Überblick über ein Unternehmen geben sowie Informationen über Geschäftstätigkeit, Management, Eigentümer, Zahlungsverhalten sowie die Ausfallswahrscheinlichkeit bieten. Mehr nicht.

Damit werden sich nun die Gerichte auseinandersetzen müssen. Bodingbauer frohlockt aber schon: Anfang der Woche wurde eine Klage mehrerer Anleger zurückgewiesen. Doch Anwalt Likar sieht das relativ entspannt: „Es sind bereits drei Klagen ohne Beweisverfahren abgewiesen worden. Doch das Oberlandesgericht Wien hat in allen Fällen das Erstgericht aufgefordert, ein Beweisverfahren zu führen. Es gibt demnach keine rechtskräftig abgewiesene Klage.“
Also abwarten. Für den Anwalt ist aber schon klar: Eine Klage gegen eine Auskunftei habe es noch nie gegeben. „Wenn wir gewinnen, dann macht das international Schlagzeilen.“

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