Mit Che Guevara im Klassenzimmer

(c) EPA (Alejandro Ernesto)
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Der Staat sorgt dafür, dass seine Schüler in Sachen Wirtschaft von Kindesbeinen an dumm bleiben. Und setzt den Eliten von morgen Unterrichtsmaterial vor, das vor anti-marktwirtschaftlicher Propaganda strotzt.

Drei von vier Deutschen halten einer aktuellen Umfrage zufolge die soziale Marktwirtschaft mittlerweile für einen Hort der Ungerechtigkeit. Begründet wird dies von den Einwohnern des reichsten Staates Europas damit, dass der Wohlstand zunehmend ungleich verteilt werde, wie aus der am vergangenen Dienstag präsentierten Studie der Bertelsmann-Stiftung hervorgeht.

Eine Einschätzung, die auch in Österreich immer mehr Anhänger gewinnt. Obwohl die Bürger so viel Geld auf der Kante haben wie nie zuvor, die Einkaufsstraßen gut gefüllt sind, kaum ein Pkw älter als fünf Jahre ist und sich die Arbeitslosigkeit einem Rekordtief nähert, schreitet die Massenverarmung munter voran, wie uns renommierte Ökonomen vom Wifo seit Monaten einzuhämmern versuchen.

Botschaften, die auf fruchtbaren Boden fallen. Die Marktwirtschaft wird längst nicht mehr als Treiber des Wohlstands und Garant der Freiheit verstanden. Eher als eine Arena, in der die Schwachen von den Starken rücksichtslos zu Boden gestoßen werden. Kein Wunder: Die Österreicher werden von Kindesbeinen an auf diese Sichtweise konditioniert, wie ein Streifzug durch die staatlichen Lehrbücher zeigt.

In „Mathematik 1“ (ÖBV/HPT, Wien) wird Elfjährigen nicht nur beigebracht, wie man richtig mit Dezimalstellen rechnet – sondern auch, wie karg der Netto-Lohn eines „langjährigen“ Beamten ist, der es nach vielen Dienstjahren brutto gerade einmal auf 2595,34 Euro bringt. Ein wenig Verständnis für den nächsten Lehrer-Protest kann schließlich auch nicht schaden.

Maturaklassen wiederum erfahren im „Durchblick 8“ (Verlag Westermann, Wien), dass der Welthandel eine ziemlich gnadenlose Veranstaltung ist: „Die Globalisierung teilt die Welt in Gewinner und Verlierer“. Sapperlot. Frei nach Augustinus (4. Jhdt.): Was der eine gewinnt, muss der andere verlieren. Die Erkenntnis des David Ricardo, wonach die Arbeitsteilung allen Beteiligten nutzt, hat sich bis heute noch nicht bis zu den Schulbuch-Autoren durchgesprochen (sie stammt aus dem Jahr 1817).

Schüler, die noch rätseln sollten, wer denn nun zu den Gewinnern zählt, werden von einer Karikatur zur richtigen Antwort geführt: Darauf zu sehen ist ein hungernder Afrikaner, der vor einem Computer-Bildschirm hockt und nach einer dort abgebildeten Banane greift. Über der fiktiven Banane prangen die Initialen der Welthandelsorganisation WTO.

Die Gewerkschaft „recherchiert“

So funktioniert also der globalisierte Handel: Er nützt den Reichen, die den Armen auch noch die Bananen weg essen, während die dritte Welt die Früchte des Freihandels nur beglotzen darf. Im Vergleich dazu ist die Programmschrift der sozialistischen Vorfeldorganisation „Attac“ wohl so etwas wie der ernst gemeinte Versuch einer seriösen Annäherung.

Die Globalisierung hinterlässt aber auch in den Wohnzimmern der Ausbeuter eine Spur der Verwüstung. „Durchblick 8“ belegt das mit Fallbeispielen: „Schuften für Mickey Mouse und wenig Mäuse“ oder „Supermarkt-Sklaverei in Polen“. Ein Report über das Schicksal einer Polin, die 20 Stunden am Tag in einer portugiesischen Supermarkt-Kette schuften muss, steht als mahnendes Beispiel dafür, wie der Welthandel unser Sozialsystem zerstört.

Entnommen wurde der Bericht übrigens der Zeitschrift „Solidarität“ – das ist das Kampfblatt des ÖGB. Aber selbst in Schulen der Wirtschaftskammer verbreiten Lehrer die These, die Globalisierung sei ein Instrument der modernen Wirtschaft, um die Löhne zu drücken.

Für positive Beispiele war in den vom Staat verteilten Schulbüchern offenbar kein Platz übrig. Kein Wort über die Millionen von Menschen aus den Ländern Asiens und des postkommunistischen Ostens, die über offen stehende Märkte im „reichen Norden“ den Weg aus der Armut gefunden haben.

Hungern für den Ausbeuter

Dafür werden die Schüler in das Geheimnis der „verlorenen Balance“ eingeweiht. In einer Tabelle wird den Schülern das Ausmaß der Ungerechtigkeit auf den Tisch geknallt: Jeden Tag sterben 30.000 Kinder an den Folgen von Hunger und jeden Tag müssen über 2,8 Milliarden Menschen mit weniger als 1,66 Euro am Tag auskommen.

Gleichzeitig muss der (arme) Süden 97 Mrd. Euro Zinsen an den (reichen) Norden zahlen, machen die 600 reichsten Personen Jahr für Jahr 250 Mrd. Dollar „Gewinn“ und werden 797 Mrd. US-Dollar für Rüstung ausgegeben.

Man muss nicht Nick Knatterton heißen, um „kombinieren“ zu können: Die Welt müsste nicht hungern – wenn nicht so viel Geld in Waffen gesteckt würde und die armen Schlucker im Süden nicht von gnadenlosen Kredithaien der Weltbank in die Schuldenfalle getrieben worden wären.

Keine Zeile über despotische Regime, die ihr Volk knechten und Finanzhilfen auf Schweizer Nummernkonten umleiten. Um an den Ufern des Genfer Sees rauschende Partys zu feiern, während sich die Landsleute täglich von der Tüchtigkeit der Planwirtschaft überzeugen können, indem sie stundenlang vor leeren Geschäften für ein Kilo Nichts anstehen. Kein Wort darüber, dass 2,8 Milliarden Menschen nicht deshalb von 1,66 Euro pro Tag leben, weil sie die Globalisierung erdrückte – sondern, weil sie keine Chance auf die Teilnahme am freien Handel haben.

Lateinamerika lässt hoffen

Unter dem Kapitel „Alternativen zum Neoliberalismus“ sehen Schüler anhand der präsentierten Länder Kuba, Venezuela und Bolivien, dass es auch anders gehen kann. Während die Nachfahren Che Guevaras für ihr tolles Sozialsystem gelobt werden, sehen die Westermann-Autoren in Bolivien einen ersten Silberstreif am Horizont: „Mit dem Aufstieg des armen Kokabauern (!) Evo Morales müssten sich die USA nun auf einen neuen Gegner des Neoliberalismus in Lateinamerika einstellen.“

Höchste Eisenbahn, möchte man meinen. Zumal die USA ja schon ihr nächstes Opfer im Visier haben: „Venezuela ist einer der wichtigsten Öllieferanten der USA, dadurch besteht immer wieder die Gefahr einer politischen Intervention“. Klar, wir kennen ihn ja, „den Amerikaner“: Wer nicht spurt, wird kurzerhand annektiert.

Nicht erfahren dürfen die angehenden Maturanten, dass der sozialistische Volkstribun Hugo Chávez Venezuela zu einer feinen Diktatur umgebaut hat. Samt Eliminierung der Pressefreiheit und Enteignung ausländischer Investoren. Vom sozialen Elend in der protektionistischen „Volksdemokratie“ Kuba nicht zu reden.

Wenn also wieder einmal in lässige H&M-Textilien gehüllte Schüler von einer Anti-Globalisierungsdemo kommend in eine McDonald's-Filiale einfallen, um sich nach beklagtem Leid ein wenig zu stärken, sollten wir gnädig sein. Und diesen Akt des Widerspruchs als Zeichen der Hoffnung sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2008)


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