Finanzkrise: Am Lagerfeuer der profitlosen Gesellschaft

(c) EPA (Harald Tittel)
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Während es an den Börsen kracht, zitieren Zeitungen fröhlich Karl Marx und lassen sich von Globalisierungs-gegnern über die Ursachen der Misere aufklären. Die Alternativen bleiben die Kritiker schuldig.

Wissen Sie eigentlich, wie es ist, ein totes Pferd zu reiten? Nein? Fragen Sie mich. Der Verfasser dieser Kolumne tut zahlenden Lesern angesichts horrender Kursstürze und Bankrotterklärungen aus der Hochfinanz schon derart leid, dass sie ihm in netten Zeilen raten, es doch endlich gut sein zu lassen mit der Verteidigung des Kapitalismus. Oder, wie es ein Blogger formuliert: „Hören Sie auf, ein totes Pferd zu reiten.“

Nun denn, steigen wir also runter vom kaputten Klepper namens Marktwirtschaft. Machen wir also das, was eine stark wachsende Zahl von Menschen in diesem Land tut: Reden wir über das Ende der Marktwirtschaft, bevor wir uns den Kopf darüber zerbrechen, wie es künftig zu verhindern wäre, dass die Allgemeinheit für die Misswirtschaft der Bankenszene geradezustehen hat.

Ist das Flugzeug am Ende?

Zum Glück ist nach den jüngsten Flugzeugkatastrophen niemand auf die Idee gekommen, laut über das Ende der Luftfahrt nachzudenken. Die brauchen wir schließlich noch – wer will schon mit dem Zug nach Griechenland fahren? Im Falle der Marktwirtschaft handelt es sich aber weder um menschliches Versagen noch um technisches Gebrechen. Sondern offenbar um einen systemimmanenten Fehler.

So wird die Finanzkrise im öffentlich-rechtlichen Radio dann auch unter dem Überbegriff „Das Ende des Kapitalismus“ abgehandelt. Womit der ORF nicht alleine ist: Kein deutschsprachiges Feuilleton, das sich dieser Tage nicht ausführlich mit dem „Scheitern der Marktwirtschaft“ auseinandersetzte.

Allerorts wird der Kapitalismus totgeschrieben (vermutlich auf Computern, die per Planwirtschaft gefertigt und frei Haus zugestellt wurden). Selbst Karl Marx ist wieder gern gehörter Zeitzeuge, kaum ein „kritischer Bericht“, der ohne Zitat des ernsten Mannes mit dem Nikolausbart auskäme. Er hat es schließlich schon immer gewusst.

Dass der Planwirtschaft der durchschlagende Erfolg bisher verwehrt blieb und seine führenden Vertreter vor allem als effiziente Massenmörder aufgefallen sind, war vermutlich Pech. Andernfalls wäre es kaum zu erklären, warum besonders die „jüngere akademische Generation“ wieder brennend an den Ideen des Herrn Marx interessiert ist, wie der Berliner Karl- Dietz-Verlag weiß. Das Berliner Verlagshaus bringt „Das Kapital“ heraus und hat damit einen echten Renner im Stall. Die Nachfrage ist dreimal so hoch wie 2005.

Nicht nur Karl Marx hat Hochkonjunktur – auch die Expertisen der Organisation Attac sind gefragt wie lange nicht. In allen Medien erklärt das Aushängeschild der globalisierungskritischen Bewegung in Österreich, wie es zur Finanzkrise gekommen ist. Der Experte ist von Beruf freier Tänzer und fühlt sich am glatten Börsenparkett wie zu Hause. Warum alles so kommen musste, wie es kam, lag weniger an der Politik der Clinton-Administration, derzufolge die halbstaatlichen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac allen US-Bürgern ungeachtet ihrer Bonität einen Kredit für ein Eigenheim bereitzustellen hatten.

Die Wurzel allen Übels liege im Gewinnstreben, das Finanzkrisen auslöse, zu Ungleichheit und Umweltzerstörung führe sowie die Demokratie untergrabe (vermutlich, weil man Gewinne nicht abwählen kann). Oder, wie es deutsche Postkommunisten etwas klarer formulieren: „Verstaatlicht alle Unternehmen, die Milliardengewinne schreiben!“ Wir müssen uns also nur von den Gewinnen befreien – und schwuppdiwupp sind alle Krisen gebannt (weil es kein Vermögen mehr gibt), alle Menschen gleich, und die Umwelt ist wieder sauber.

Am Ende treffen wir uns wohl alle im Wald, um am großen Lagerfeuer der profitlosen Gesellschaft glücklich das Ende unserer Tage zu erwarten. Wer nun meint, Organisationen wie Attac belächeln zu müssen, spricht vermutlich selten mit jungen Menschen. Nicht zuletzt jene aus „guten Häusern“ zählen zu fleißigen Financiers von Attac und großen Gegnern der kapitalistischen Welt. In kaum einer Bevölkerungsschicht ist die für höhere Steuern werbende und gegen Freihandel hetzende Organisation so populär wie bei den Jungen.

China als perfekte Mischung

Die Finanzkrise bietet nicht nur Gelegenheit, die Marktwirtschaft totzureden. Sie ist auch willkommener Vorwand, Dinge verschwinden zu lassen. Wie etwa eine verkorkste Budgetpolitik. Staaten, die sich heute als Retter der Finanzwelt feiern lassen, werben scheinheilig um Verständnis, wenn sie es nun mit der Budgetdisziplin nicht mehr so genau nehmen könnten. Ganz so, als wäre das die Ausnahme, nicht die Regel.

Verjuxen Länder Wohnbaugelder und die staatliche Unfallversicherung Beiträge der Zwangsmitglieder an den Börsen, schmort der Schuldige längst am Pranger: die Finanzkrise. Landet der ORF heuer tief in den roten Zahlen, liegt das nicht am gescheiterten Unternehmensmodell, sondern an der tobenden Finanzkrise.

Während sich das diktatorische China brüstet, bereits die perfekte Mischung zwischen starkem Staat und Markt gefunden zu haben, versuchen Europas Regierungschefs, den „geschwächten“ Staat wieder aufzupäppeln. Exzessives „Deficit Spending“ heißt die Devise: In Zeiten der Finanzkrise braucht es schließlich dringend neue Brücken und Autobahnen. Ganz nach dem Motto: „Wer nicht mehr weiter kann, beschließt einfach ein Konjunkturprogramm.“

Nach den Banken soll der Staat nun auch den Autokonzernen unter die Arme greifen, wie Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi meint. Angesichts fehlender Autokonzerne wird hierzulande die risikolose Unternehmerschaft propagiert: So fordern ÖVP-Abgeordnete einen „100-prozentigen Insolvenzschutz für alle Klein- und Mittelbetriebe“ durch den Staat.

Vielleicht sollten wir ja doch noch einmal nach unserem „toten“ Pferdchen sehen. Sehr „frisch“ sieht die auf der Weide des Wohlstands grasende Konkurrenz, die uns in die Zukunft tragen soll, nämlich nicht aus.


franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2008)

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