SuperMarkt: Wem gehört die Krise?

(c) Reuters (Eric Thayer)
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Gierigen Bankern oder dem freien Markt? Es ist wie im Sport: Gewinnen tun immer „wir“, verlieren hingegen die anderen.

Vergangenen Samstag war es so weit: Erstmals seit Ausbruch der jüngsten Weltwirtschaftskrise probten aufgebrachte Massen in einer konzertierten Aktion den Aufstand. In London, Berlin, Frankfurt, Rom, Madrid, Paris und Wien wurden Menschen von Globalisierungsgegnern und „Organisationen aus allen Teilen der Zivilgesellschaft“ zusammengetrommelt, um „gegen die Wirtschaftskrise“ zu demonstrieren. Schlachtruf der Veranstaltung: „Wir zahlen nicht für eure Krise!“

Eine durchaus nachvollziehbare Haltung. Hunderttausende Menschen fragen sich zu Recht, wie sie dazu kommen, für die Fehler „gieriger Wall-Street-Banker“ bluten zu müssen, während diese millionenschwere Abfertigungen kassieren. Investitionsfreudige Unternehmer verstehen nicht, warum sie kein Kapital bekommen, wo doch die Nationalstaaten Milliarden in die Rettung der Banken scheffeln.

Fest steht, dass wir alle für die Kosten der Krise aufzukommen haben. Abgesehen von vernichteten Arbeitsplätzen und verlorenen Börsenwerten werden wir alle noch über Jahrzehnte hinweg für die heute aufgenommenen Schulden bezahlen, die zur Krisenbekämpfung eingesetzt werden. Und das gleich doppelt: erstens über höhere Steuern, um die Zinsen für die neuen Schulden begleichen zu können, und zweitens über eine Teuerungswelle, die nach Ende der Krise über unseren Köpfen hereinbrechen wird.


Geflutete Märkte. Aber wessen Rechnung wird nun beglichen? Wem „gehört“ die Krise? Der entfesselten Marktwirtschaft, die solche Abstürze überhaupt erst möglich gemacht hat? Den Bankern, die faule Kredite zu undurchschaubaren Konstrukten gebündelt haben, um sie in aller Welt zu verscherbeln? Den Aufsichtsräten, die das alles zugelassen haben, ohne auch nur einmal nachzufragen, was denn da genau passiert? Den Ratingagenturen, die sich mit ihren Expertisen blamiert haben? Den Politikern, die für die Regulierung der Märkte verantwortlich sind und in dieser Rolle kläglich versagt haben? Oder war es Ex-US-Finanzminister Paulson, der Lehman pleitegehen ließ und damit einen „Jahrhundertfehler“ machte, wie der „Spiegel“ zu wissen meint?

Die Antworten führen noch immer über die Frage, warum US-Banken eigentlich damit begonnen haben, Menschen Geld zu leihen, die schlecht verdienten und keinerlei Ersparnisse vorzuweisen hatten. Einer der Gründe war der politische Wille der Administration Clinton, dass auch einkommensschwache US-Bürger zu einem Eigenheim kommen sollten. Zweitens glaubte man, die Risken derartiger Hypothekarkredite mathematisch berechnen zu können. Und drittens war derart viel billiges Geld im Umlauf, dass sich fast alles problemlos finanzieren ließ und niemand blöde Fragen stellte.

Entscheidend war Punkt drei, die globale Geldschwemme. Um die Dimensionen einmal zu umreißen: Laut Schätzungen der Unternehmensberater von McKinsey lagen die weltweiten Ersparnisse im Jahr 1995 bei 66.000 Milliarden Dollar. Fünf Jahre später erreichten sie bereits 94.000 Milliarden – und weitere sechs Jahre später 170.000 Milliarden Dollar. Innerhalb von knapp zehn Jahren hat sich die nach Veranlagung strebende Geldmenge also nahezu verdreifacht.

Eine höchst erfreuliche Entwicklung, an der vor allem einmal die Marktwirtschaft „Schuld“ hat: Einst bettelarme Länder fanden mit der Aufnahme in den Welthandel den Weg aus dem Elend und wurden wohlhabend. Allen voran China, das die Weltmärkte seit Jahren mit Billigprodukten versorgt und damit Milliarden scheffelt. Wer hätte sich vor 30 Jahren vorstellen können, dass das Land zum größten Geldgeber der kapitalistischen USA aufsteigen würde? Wer hielt es für möglich, dass das kommunistische China heute die drei größten Banken der Welt stellt? Noch vor zehn Jahren fand sich keine unter den globalen Top-40.

Neben China sitzen plötzlich auch Staaten wie Indien oder Abu Dhabi auf Milliardenbeträgen, die veranlagt werden wollten. Das Problem: Reichlich vorhandenes Kapital traf auf knappe Investitionsmöglichkeiten. Perfekte Bedingungen für das Entstehen sogenannter Spekulationsblasen. Und dann passierte das: Mitten in der Geldschwemme kappte die US-Notenbank Fed willkürlich die Zinsen, um die schwächelnde US-Konjunktur mit billigem Geld aufzupäppeln.

Die Fed machte also genau das, was die politischen Einpeitscher der Wochenenddemos (allen voran Attac) seit Jahren von der Europäischen Zentralbank fordern: Sie „pfiff“ auf die Stabilität des Geldes und betrieb ungeniert Konjunkturpolitik. Womit viele der verärgerten Bürger vergangenes Wochenende zu einem beträchtlichen Teil gegen sich selbst demonstrierten.

Wenn wir also schon von einem Jahrhundertfehler sprechen wollen, dann ist dieser wohl durch die verheerende Intervention der staatlichen Geldpolitik passiert. Durch die gesenkten Zinsen wurden US-Staatsanleihen für Anleger uninteressant. Mit schlimmen Folgen: Studien zufolge absorbierten US-Staatsanleihen fast 70 Prozent der weltweit überschüssigen Ersparnisse. Das bereits reichlich vorhandene und das zusätzlich „frei“ werdende Kapital suchte nach lukrativeren Anlagemöglichkeiten – und wurde rasch fündig: auf dem US-Hypothekenmarkt.


Versagende Märkte? Die Märkte versagten keineswegs, sie funktionierten leider prächtig und lenkten die Geldströme effizient in den boomenden Häusermarkt um. Während sich Staatspapiere kaum noch rentierten, konnte mit Krediten an Hausbesitzer ordentlich Geld verdient werden. Noch dazu, da diese Kredite fast risikolos schienen. Die Häuserpreise stiegen aufgrund der hohen Nachfrage immer weiter, und die Banken bündelten die Kredite, verkauften sie rund um den Globus, wodurch sich das Ausfallrisiko minimieren sollte.

Das bestätigten auch Rechenmodelle, die von Eliteuniversitäten erstellt wurden. Leider basierten diese mathematischen Warnsysteme auf falschen Annahmen – sie rechneten die Ausfallquoten der letzten Jahre hoch und kamen zu dem Schluss, dass es im Schnitt bei zwei von 100 Kreditnehmern zu einer Zwangsvollstreckung käme. Im schlimmsten Fall, so die Annahme, würden zehn Prozent der Hypothekarkredite abzuschreiben sein. Nicht berücksichtigt wurde, dass sich längst Menschen ein Eigenheim finanzieren konnten, denen vor wenigen Jahren kein Cent geliehen worden wäre. Heute werden Kreditausfälle von bis zu 40 Prozent und mehr erwartet.

Auch die Ratingagenturen rechneten mit falschen Annahmen. Ebenso die Aufsichtsräte der Banken, die staatlichen Regulierungsbehörden und die Investoren in aller Welt. Wir haben es hier also mit einem multiplen menschlichen Versagen zu tun. Das ist unerfreulich, kommt aber leider immer wieder vor. So komplex die Thematik ist, so einfach ist die Klärung der Schuldfrage. Es ist so wie im Sport: Gewinnen tun „wir“ – verlieren immer die anderen.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2009)


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