SuperMarkt: Faymanns Wirtschaftswunder

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Wer sich fragen sollte, wie es Österreich schafft, trotz Krise an der Vollbeschäftigung zu kratzen, muss nur dem Regierungs-Chef zuhören. Er weiß warum, denn die Arbeitslosenquote ist "nicht zufällig" so niedrig.

Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier ist wohl nicht gerade das, was man unter einem unbeirrbaren Optimisten versteht: „Heute stehen wir am Abgrund. Morgen sind wir schon einen großen Schritt weiter“, diagnostiziert Filzmaier in seinem aktuellen Buch („Der Zug der Lemminge“). Dabei lässt er freundlicherweise noch offen, ob die Bürger dieses Landes schon morgen im freien Fallen auf den Talboden zurasen. Oder ob sie in einem letzten Moment der Klarheit umdrehen, um sich doch noch ins sichere Landesinnere zu retten. Die Hoffnung lebt.

Gedämpft wird diese Hoffnung allerdings durch Kommandos aus der vordersten Reihe, die bereits in die Tiefe blickt. „Wir sind das Land mit der geringsten Arbeitslosigkeit. Nicht zufällig auch deshalb, weil wir Menschen, für die wir überhaupt keine Arbeit haben, eine gewisse Chance geben, nach 40 bzw. 45 Jahren in Pension gehen zu können“, meinte niemand Geringerer als Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) vergangenen Dienstag nach dem Ministerrat.


Sinn der Sache. Aus nicht geklärten Gründen wurde diese geradezu historische Wortspende von den anwesenden Journalisten kollektiv ignoriert. Das ist schon deshalb überraschend, weil erstmals ein Bundeskanzler der Zweiten Republik einräumte, dass die Frühpension keineswegs dazu gedacht ist, jenen Menschen den Ausstieg aus dem Berufsleben zu ermöglichen, die physisch oder psychisch nicht mehr in der Lage sind, einer Arbeit nachzugehen. Nein, die Republik Österreich legt älteren Menschen deshalb die Rutsche in den Vorruhestand, um die Arbeitslosenrate niedrig zu halten.

Hierzulande kümmert sich eben immer noch die Politik um die Beschäftigung ihrer Bürger. Und so sieht es dann auch aus, das rotweißrote Arbeitsmarktwunder: Über den spätestmöglichen Eintritt in die Arbeitswelt, eine nach Kräften überdimensionierte Staatswirtschaft und das frühestmögliche Ausscheiden aus dem Berufsleben erkaufen sich Österreichs Regierungen seit vielen Jahren glänzende Arbeitslosenstatistiken.

Vor allem die Jüngeren werden diese Praxis in höchstem Maße charmant finden. Sie sind es nämlich, die noch Jahrzehnte dafür schuften werden, dass eine unheilige Allianz aus Regierungsvertretern, Gewerkschaften und Arbeitgebern das Land flächendeckend frühpensioniert hat. Mit Frankreich und Italien geben mittlerweile nur noch zwei industrialisierte Länder mehr Geld für ihr Rentnerheer aus als Österreich. Sieben von zehn Arbeitnehmern gehen hierzulande vorzeitig in Pension (Männer mit 59, Frauen mit 57).

Gelänge es, den Rentenantritt auch nur um ein Jahr hinauszuzögern, ersparten sich die Erwerbstätigen des Landes mehr als 300 Millionen Eurojährlich. Allerdings scheint die Regierung daran kein Interesse zu haben. Der Vorschlag von Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl, potenzielle Frühpensionisten über finanzielle Anreize im Job zu halten, wird umgehend schubladisiert. „Zu teuer“, heißt das Urteil, bevor überhaupt gerechnet wurde.

Zu beginnen wäre freilich damit, einen Arbeitsmarkt für Ältere zu schaffen. Etwa, indem automatische Vorrückungen gekappt und Lohnnebenkosten für diese Generation spürbar gesenkt werden. Das wäre auch machbar, wenn nur im Gesundheitswesen jene Kosten gespart werden, die Wifo, IHS und Rechnungshof seit Jahren vorrechnen. Flankierend dazu wird man um spürbare Abschläge für jene nicht umhinkommen, die vor 65 (Männer wie Frauen) in die Rente wollen.

Stattdessen wird die systematische Frühpensionierung vom Bundeskanzler höchstpersönlich zur Arbeitsmarktpolitik erklärt. Und das in Zeiten, in denen die Lebenserwartung täglich um sechs Stunden steigt und die staatlichen Pensionskassen dem finanziellen Kollaps Hallo sagen. Sieht ganz danach aus, als würden die Lemminge in der ersten Reihe Gefallen an dem finden, was sie am Talboden sehen.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2010)


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