Davoser Glühwein-Sozialismus

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Beim Weltwirtschaftsforum in Davos wurde ausgiebig über Alternativen zum Kapitalismus nachgedacht. Dabei existiert dieser nur noch am Papier.

So kann es nicht weitergehen. In diesem Punkt waren sich die elitären Teilnehmer des Davoser Weltwirtschaftsforums und die in klirrender Kälte kämpfenden Aktivisten der „Occupy“-Bewegung einig. Wie auch darin, dass nur eines zu ändern ist, um die Welt wieder von der schiefen Bahn zu bekommen: der Kapitalismus. Oder, um es in den Worten von Klaus Schwab, dem Gründer des Weltwirtschaftsforums, zu sagen: „Der Kapitalismus in der bisherigen Form passt nicht länger zu unserer Welt.“

Doktor Schwab diagnostizierte noch andere unschöne Dinge: „Wir haben die Lektionen aus der Finanzkrise von 2009 nicht gelernt. Wir sind überschuldet. Wir haben Zukunftsinvestitionen vernachlässigt, wir haben den sozialen Zusammenhalt geschwächt, und wir laufen Gefahr, das Vertrauen künftiger Generationen vollständig zu verlieren.“ Nun ja, das ist nicht gelogen. Bleibt nur zu fragen, wer „wir“ sind. „Wir“ Politiker, „wir“ Banker, „wir“ Konzernlenker, „wir“ Arbeiter? Nein. Gemeint sind all jene, die eine Wirtschaftsordnung für ziemlich passabel halten, die Millionen von Menschen aus der Armut geführt und in der westlichen Welt für Massenwohlstand gesorgt hat, aber in dieser Form offenbar nicht mehr in unsere Welt passt.


Schweizer Hüttengaudi. In einem der luxuriösesten Wintersportorte der Welt wischt sich also die erste Führungsebene der Politik und Wirtschaft die Schuld am Schlamassel von den Schultern wie frischen Schnee. Das hat was. Wirtschaftskapitäne, die stets den freien Markt predigten, um sich bei erster Gelegenheit demütig um staatliche Hilfsgelder anzustellen. Weil sie Produkte auf den Markt brachten, die sie nicht verstanden und damit horrende Summen in den Sand setzten. Politiker, die es seit Jahrzehnten nicht schaffen, weniger Geld auszugeben als sie einnehmen, und nun die Überschuldung der von ihnen geführten Staaten den von ihnen regulierten Märkten unterjubeln.

Nachdenken über Verbesserungen ist natürlich immer gut. Allerdings sollte die Frage erlaubt sein, auf wen hier eigentlich eingeprügelt wird. Auf einen Kapitalismus, der nur noch auf dem Papier existiert, in der Praxis aber längst von einem knallharten Staatssozialismus abgelöst wurde, der das Leben der Menschen demokratischer Länder bestimmt wie selten zuvor. Während also in Davoser Skihütten bei Glühwein und Biospeck über die zerstörerische Kraft ungezügelter Märkte sinniert wird, hat es sich der Staat in den Wohnzimmern der Bürger gemütlich gemacht.

In ganz Europa ist der Staat größter Investor, Unternehmer und Arbeitgeber zugleich. Kein wichtiger Bereich, der nicht von Staatshand gelenkt würde. Nehmen wir nur die Geldpolitik: Die Höhe der Zinsen hat schon lange nichts mehr mit Angebot und Nachfrage zu tun. Sie wird von den Zentralbanken künstlich niedrig gehalten, um verschuldeten Staaten den Zinsendienst zu ermöglichen. Dasselbe gilt für die Geldmenge, die von den Zentralbanken künstlich hoch gehalten wird, um finanziell angeschlagenen Staaten den Zugang zu frischem Kapital zu ebnen. Nur deshalb kann sich Italien heute so günstig verschulden wie in den vergangenen 25 Jahren nicht. Ein Land, das sich gerade mit einer Expertenregierung selbst unter Kuratel stellte.

Der staatlich manipulierten Geldpolitik ist es auch zu danken, dass Griechenland seit fast zwei Jahren mit frisch bedruckten Euroscheinen über Wasser gehalten wird – mit dem Ergebnis, dass das Land heute genauso pleite ist wie vor zwei Jahren. Nur die Schadenssumme ist angeschwollen. Ist das jener Kapitalismus, der nicht mehr so recht in unsere Zeit passen will?

In einem Punkt haben die „Occupy“-Aktivisten allerdings recht: Es war ein verheerender Fehler, die vor dem Untergang stehenden Banken mit Haut und Haaren zu retten. Statt das Versagen der Aktionäre einer kapitalistischen Lösung zuzuführen und sie von der Last ihres Vermögens zu befreien, wurden sie von der Politik auf Kosten der Steuerzahler gerettet. Nicht zuletzt deshalb, weil viele der angeschlagenen Geldhäuser in öffentlichem Eigentum standen.

Zu all dem passt, dass die deutsche Regierung vergangenen Donnerstag einen neuen Rettungsfonds für taumelnde Banken bereitgestellt hat. Deutsche Institute haben nämlich tonnenweise Anleihen in ihren Büchern, deren Rückzahlung höchst fraglich ist. Durchgebracht wurde das Geld nicht von rauschende Parties feiernden Playboys. Sondern von Regierungen, die trotz rekordverdächtiger Steuereinnahmen ihre Rechnungen nicht mehr begleichen können.

Das also ist jener Kapitalismus, der nicht mehr so recht in unsere Welt passen will? Vielleicht sollten sich die Davoser Eliten im nächsten Jahr der Frage zuwenden, wie denn die Regierungen europäischer Schuldnerstaaten wieder zu zügeln wären. Damit auch die „Occupy“-Aktivisten eine Zukunft haben und ihre Zeit mit Nützlicherem verbringen können als in klirrender Kälte den falschen Mond anzubellen.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2012)


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