Indische Währungsreform trifft Bauern und Frauen

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Just am Tag nach der US-Wahl entwertet Indien 85 Prozent aller Geldscheine. Der Effekt ist fatal: Die Wirtschaft steht still, das Land versinkt im Chaos.

Fünfzig Tage. Das sind genau 1200 Stunden oder 72.000 Minuten. So lang werde es dauern, bis der akute Schmerz für Bevölkerung und Wirtschaft nachlassen wird, hat der indische Premierminister, Narendra Modi, gesagt. Das war vor genau elf Tagen. Seitdem zählen Hunderte Millionen Inder die Minuten, während sie in endlosen Schlangen stehen. Der Schmerz kam sofort, und er war scharf: Indiens Wirtschaft basiert zu 90 Prozent auf Bargeld. Modi hat am 8. November ohne Vorankündigung alle 500- und 1000-Rupie-Banknoten für ungültig erklärt. Auf einen Schlag waren 85 Prozent aller Banknoten in Indien ungültig.

War es ein Zufall, dass diese urplötzliche Währungsreform am Tag nach der US-Wahl stattgefunden hat, als die ganze Welt und die Medien mit offenem Mund Richtung Washington gestarrt haben – und kaum jemand außerhalb Indiens von Modis radikalem Schritt Notiz nahm? Wir wissen es nicht. Wir können nur Vermutungen anstellen. Dasselbe gilt für die langfristigen Folgen der Währungsreform. Was wir aber wissen: Indiens Wirtschaft versinkt gerade im Chaos.

Auch die offizielle Begründung für die Demonetisierung der zwei Banknoten kennen wir: Modi will den Schwarzmarkt treffen und die Korruption eindämmen. Aber bisher hat er nur das Gegenteil erreicht. Denn die Menschen können ihr nun wertloses Geld nur in 100- oder (neue) 2000-Rupie-Scheine wechseln. Aber weil es nirgends genug 100er zu holen gibt, sind auch die 2000er nicht zu gebrauchen, weil das Wechselgeld fehlt.

Und: „Bargeld ist absolut entscheidend für Indiens Marktwirtschaft“, schreibt Jayata Gosh im britischen „Guardian“: „Ironischerweise hat sich erst recht ein Schwarzmarkt entwickelt, auf dem die alten Banknoten mit 20 Prozent Abschlag gehandelt werden.“ Was die Kommentatoren, Gewerkschaften und politischen Gegner Modis aber besonders aufregt: Die Reform trifft keineswegs in erster Linie die korrupte Elite, noch nicht einmal die Mittelschicht, die oft Zugang zu einem Bankkonto hat. „Die großen Player halten Schwarzgeld fast nie in bar. Sie kaufen Immobilien, Wertpapiere oder Gold. Vor allem aber schaffen sie ihr Geld außer Landes“, schreibt Gosh. Während die indische Regierung die Währungsumstellung als „chirurgischen Schlag“ bezeichnet hat, spricht Gosh von einem „Flächenbombardement“.

Die Reform trifft vor allem die Ärmsten mit voller Härte: 300 Millionen Menschen verfügen nicht einmal über die Papiere, die für einen Währungstausch notwendig wären. Und viele der mehr als 260 Millionen Bauern in Indien haben kein Bankkonto. Sie halten ihr Geld oft unter der sprichwörtlichen Matratze. Wenn die Regierung die Währungsreform nicht rasch in den Griff bekommt, droht sogar ein teilweiser Entfall der Ernte – weil die Bauern kein Saatgut kaufen können. „Selbst diejenigen, die Konten haben, müssen oft weite Strecken zurücklegen, um zu Banken oder Postfilialen zu kommen, die auf den Ansturm nicht vorbereitet sind“, schreibt Padmapriya Govindarajan für die Zeitung „The Diplomat“: „Sie müssen ihre Felder für viele Stunden verlassen – oft sogar vergeblich.“

Aber selbst das, was produziert wird, kommt nicht beim Verbraucher an. So berichtet Bloomberg, dass rund die Hälfte der insgesamt 9,3 Millionen beim All India Motor Transport Congress registrierten Lastwagen inzwischen nicht mehr fahren. Die Fahrer hätten sie einfach zurückgelassen, weil das Geld für Essen und Benzin fehle. Rund 65 Prozent aller Transporte in Indien werden – normalerweise – auf der Straße durchgeführt.
Dazu kommt, dass eine große Zahl an Frauen in der enorm sexistischen indischen Gesellschaft geheime Bargeldreserven aufgebaut haben dürften. „Die nimmt diese Reform schwer mit. Weil sie die Existenz ihrer Ersparnisse nicht preisgeben können, verlieren diese Frauen alles, was sie sich teilweise jahrelang beiseitegelegt haben“, schreibt Govindarajan. Die Liste der gesellschaftlichen Randgruppen, die von Modis Reform direkt negativ getroffen werden, geht noch lang weiter: etwa Flüchtlinge oder Prostituierte.

Am Freitag haben 150 bekannte Inderinnen und Inder einen Brief veröffentlicht, in dem sie die Regierung zur Rücknahme der Währungsreform aufrufen: „Die Art der Durchführung dieser Reform hat im Land zu Tumulten geführt. Wir verlangen, dass die Regierung sofort Schritte unternimmt, um den kleinen Menschen Zugang zu genug Geld für ihre täglichen Bedürfnisse und die medizinische Versorgung zu verschaffen“, heißt es da.

Die Regierung hat indes eine Reihe von Ad-hoc-Maßnahmen gesetzt, die das Chaos lindern sollen. So will man Bauern den Zugang zu Geld erleichtern. Aber die langfristigen Folgen der offenbar schlecht vorbereiteten Währungsreform sind kaum abzusehen. Noch befindet sich die „größte Demokratie der Welt“ in einem Schockzustand. Die Menschen flüchten mit ihrem Geld, wohin sie können. So haben sich die Verkäufe von Luxusuhren offenbar vervielfacht. Auch der US-Dollar wird in Indien inzwischen über seinem offiziellen Kurs gehandelt.

Und natürlich kaufen die goldverrückten Inder noch mehr Gold – wenn sie es bekommen können. Denn manchen Meldungen zufolge wird in Indien inzwischen ein Aufschlag von 50 bis 100 Prozent verlangt. Indien ist der zweitgrößte Importeur des gelben Metalls nach China. Die Regierung hat in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Lust auf Gold zu dämpfen – zumal vermutet wird, dass rund ein Drittel der jährlich in Indien gekauften 1000 Tonnen Gold mit Schwarzgeld bezahlt wird.
Nach vielen gescheiterten Versuchen soll auch die neue Währungsreform die Goldnachfrage drosseln – weil Inder mit Bankkonten einfacher in Wertpapiere investieren könnten. Noch geht der Trend aber in die entgegengesetzte Richtung: Die Inder flüchten aus einer Währung, die über Nacht von der Regierung für wertlos erklärt wurde. Immerhin: Premier Modi bleiben nach eigener Rechnung noch 39 Tage, um aus seiner Reform einen Erfolg zu machen.

Mails an:nikolaus.jilch@diepresse.com

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