Energie: Keine Angst vor hohen Preisen

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Hohe Energiekosten in der EU entscheiden nicht ob, sondern nur, wo wir wettbewerbsfähig sind. Das ist auch eine Chance, sagt eine Studie der Brüsseler Denkfabrik Bruegel.

Wien. Die Stromrechnungen der europäischen Industriebetriebe haben sich im Vergleich zur Konkurrenz aus den USA in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Für Gas bezahlen Europas Firmen vier Mal so viel wie die US-Konzerne. Das hat Konsequenzen: Die Internationale Energieagentur prophezeit Europa den industriellen Abstieg, Unternehmen drohen mit Abwanderung, und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) wird nicht müde zu betonen, dass Energiekosten für die Standortwahl längst wichtiger sind als die Löhne. Man könnte fast glauben, die Zukunft der europäischen Industrie entscheidet sich an der Steckdose.

Doch ganz so ist es nicht. Hohe Energiepreise schaden deutlich weniger Branchen als gedacht, heißt es in der Studie „Manufacturing Europe's future“ der Brüsseler Denkschmiede Bruegel. Und sie entscheiden nicht, ob ein Land wettbewerbsfähig ist oder nicht. Zwar werden Unternehmen, die viel Energie verbrauchen, also etwa Firmen aus der Chemie-, Stahl- oder Papierindustrie, kaum große Investitionen am Kontinent tätigen. Doch die Auswirkungen auf andere Branchen sind laut Studie eher klein.

Kein Grund zur Panik


So hat etwa die deutsche Aluminiumindustrie von 2001 bis 2008 stark unter den hohen Strompreisen im Land gelitten. Die deutschen Autohersteller die immerhin 140 Kilogramm Aluminium in jedem Fahrzeug verbauen, hat das allerdings nicht getroffen. Obwohl die Energiepreise um 166 Prozent stiegen, merkten die Autobauer fast nichts, sie importierten einfach mehr Aluminium aus dem Ausland und konnten ihre Exporte in der Zeit sogar um 142 Prozent steigern.

Die Unterschiede in den Energiepreisen zwischen den USA und Europa sind daher kein Grund zur Panik, beruhigen die Autoren. Bald ändern wird sich daran ohnedies nichts. Denn der US-Schiefergasboom lässt sich nicht einfach kopieren, die Importabhängigkeit der EU ist mit 66 Prozent hoch, der Ausbau der erneuerbaren Energieträger kostspielig. „Europa muss vielleicht mit höheren Energiepreisen leben als die USA, aber das heißt nicht, dass Europa nicht wettbewerbsfähig sein kann“ sagt Studienautor Georg Zachmann zur „Presse“.
Denn die Energiekosten entscheiden nicht darüber, ob die Exportwirtschaft eines Landes wettbewerbsfähig ist oder nicht. Sie entscheiden nur, in welchen Branchen die Unternehmen reüssieren können. Und das sind nicht unbedingt die „schlechteren“. In der Studie wurden 27 OECD-Länder von 1996 bis 2011 betrachtet. 600 Produkte wurden eher in Ländern mit niedrigen Strompreisen erzeugt, aber 1000 wurden eher in Ländern mit hohen Strompreisen gefertigt.

„Bessere“ Branchen bleiben


Die Branchen, die sich trotz hoher Energiekosten durchsetzen konnten, schufen dabei meist mehr Arbeitsplätze und eine höhere Wertschöpfung als die energieintensive Industrie. Wer hohe Energiekosten hat, muss hochwertigere Produkte herstellen, um sich die Energie-Importe leisten zu können. Der Druck auf Innovation und Bildung steigt. Wer hingegen niedrige Stromkosten hat, ist versucht, sich mit „alter“ Rohstoff-Industrie zufrieden zu geben. Doch dafür wird in Europa künftig kaum mehr Platz sein. Bruegel warnt davor, Industrien, die unter hohen Energiepreisen leiden, zu subventionieren. Bezahlen müssten das letztlich alle anderen Firmen. Und auch für die Wirtschaft gilt: Gut gemeint ist nicht immer gut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2014)

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