Nicht einmal das mit Wasserkraft gesegnete Österreich kommt ohne Atomstrom aus.
Es gibt Anliegen, deren emotionale Intensität jeden Einwand an die Wand spielt – und wohl keines dieser Anliegen findet hierzulande so viel Anklang wie der Kampf gegen die Kernkraft. Jung und Alt, rechts und links marschieren gemeinsam unter dem gelb-roten Banner von „Atomkraft? Nein, danke“ der lachenden Sonne entgegen, in eine Zukunft, in der Strom sauber, die Luft würzig, die Gewässer klar und die Kühe glücklich sind – und in der Bösewichte vom nuklearen Todesstern keinen Platz haben.
Doch diese Vision, so schön sie auch sein mag, hat eine Schwachstelle: Sie ist nämlich doppelt heuchlerisch.
Erstens, weil nicht einmal Österreich, das mit Wasserkraft so reichlich gesegnet ist, ohne zugekauften Atomstrom auskommt. Und zweitens, weil die Kritik nicht gleichmäßig verteilt, sondern bevorzugt gegen Osteuropa eingesetzt wird – oder haben Sie schon jemals von einem Schweizer Schrottreaktor gehört?
Unbestritten ist, dass die Zukunft der erneuerbaren Energie gehören muss, wenn Europa eine Zukunft haben will. Der Weg dorthin ist eine andere Sache. Man kann, wie Deutschland es momentan vormacht, die Energiewende ausrufen und aus der Kernkraft aussteigen. Das schmutzige kleine Geheimnis dieses an sich löblichen Vorhabens ist die Tatsache, dass ein Teil dieser Energiewende darin besteht, im Gegenzug mehr Kohle zu verheizen – was nicht sonderlich auffällt, denn jedes Jahr sterben ohnehin zigtausende Europäer an den Folgen der Luftverschmutzung. Doch leider sind diese Opfer weniger telegen als die bösen Männer in Strahlenschutzanzügen.
michael.laczynski@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2014)