Energie: Das Ende von König Kohle

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Wirtschaftliche Zwänge und umweltpolitisches Umdenken führen zu einer Abkehr von dem schwarzen Gold. In England schloss am Wochenende die letzte Kohlegrube.

London. Großbritannien nimmt Abschied von dem Bodenschatz, der einst die industrielle Revolution befeuert und das Land zu einem Imperium gemacht hatte. „Unsere Zivilisation ist auf Kohle begründet“, schrieb George Orwell 1937. Fast 80 Jahre später wurde am vergangenen Freitag mit der Kellingley Colliery in West Yorkshire das letzte Kohlebergwerk des Landes mit Untertageförderung geschlossen. Damit kommt mehr als ein Kapitel der britischen Wirtschaftsgeschichte zu einem Ende.

Bergarbeiter zu sein bedeutete nicht nur, an vorderster Front der Arbeiterklasse zu stehen. Sie waren ebenso berühmt für ihre Durchhaltefähigkeit wie berüchtigt für ihre Streikbereitschaft. Premierminister Harold Macmillan pries sie als „die besten Männer der Welt, die den Kaiser und Hitler besiegt haben“. 20 Jahre später sprach Margaret Thatcher als Regierungschefin vom „Feind im Inneren“, als sie 1984–85 einen einjährigen Bergarbeiterstreik ausstand und den Gewerkschaften damit das Rückgrat brach.

Bergarbeiter zu sein bedeutete aber auch eine Verbundenheit, wie sie vielleicht nur in 600 Metern Tiefe unter der Erde bei 30 Grad Hitze und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit entstehen kann. „Mein Vater war Bergarbeiter, mein Großvater war Bergarbeiter, und mein Bruder war Bergarbeiter“, sagt Shaun McLoughlin, dem nun als Manager die Aufgabe zufällt, die Kohlegrube nach 50 Jahren Betrieb zu schließen. „Sie wären entsetzt“, sagt er nun über seine Verpflichtung.

Veränderte Rahmenbedingungen bereiten heute dem einst stolz „King Coal“ genannten Bodenschatz das Aus. Der Kohleabbau in Großbritannien ist von seinem Höhepunkt von 217 Millionen Tonnen im Jahr 1954 auf zuletzt 3,7 Millionen gefallen. 1954 waren 1330 Untertageförderstätten in Betrieb. Die Zeche Kellingley ist die letzte. Auf dem Höhepunkt förderten hier in den 1970er-Jahren knapp 2300 Arbeiter 8000 Tonnen Kohle am Tag. Davon sind 451 geblieben.

Nicht mehr wettbewerbsfähig

Schon lange ist britische Kohle nicht mehr wettbewerbsfähig. Seit 2001 übersteigen die Importe den Eigenabbau. Nach Angaben der Betreibergesellschaft UK Coal kostet die Förderung einer Tonne Kohle in Kellingley 65 Pfund (90 Euro). Auf dem Weltmarkt sind dafür momentan nur 45,10 Pfund zu bezahlen. „Die Grundlagen der ganze Weltwirtschaft ändern sich“, sagt David Cross vom National Coal Mining Museum for England.

Zum anderen hat eine radikale Wende in der Energiepolitik der Kohle das Sterbeglöcklein geläutet. Bis 2015 will Großbritannien alle Kohlekraftwerke schließen, wie Energieministerin Amber Rudd im November vor dem Klimagipfel in Paris ankündigte. Kohle ist der Hauptverursacher von CO2-Emissionen und damit wesentlich verantwortlich für den Klimawandel.

Aktuell betreibt Großbritannien noch zwölf Kohlekraftwerke, die knapp 30 Prozent der Elektrizität des Landes erzeugen. Die Regierung will den Verlust der Kohle mit Gas, Atomkraft und vor allem erneuerbaren Energien wettmachen. Der Kohleausstieg fand Lob von höchster Seite. Al Gore, Mr. Climate Change himself, sprach von einem „exzellenten und inspirierenden Präzedenzfall“. Allerdings fehlen Ersatzkapazitäten. Obwohl die Regierung in Zukunft den Löwenanteil an Energie mit Gas erzeugen will, befindet sich derzeit gerade einmal eine neue Anlage in Bau.

Daneben setzt man auf Atomkraft und erneuerbare Energien, wenngleich die staatlichen Subventionen für Letztere um bis zu 90 Prozent gestrichen wurden. „Wir wollen einen kompetitiven Markt, in dem die verschiedenen Technologien mit ihren wahren Kosten konkurrenzieren“, sagte Rudd.

Atomkraftwerke profitieren

In Wahrheit sichert die britische Regierung der Atomindustrie aber für das neue Kraftwerk Hinkley Point einen so großzügigen Abnahmepreis zu, dass Österreich wegen verbotener Subventionen sogar beim Europäischen Gerichtshof Klage erhoben hat. Daneben unterstützt der Staat die Gasproduktion in der Nordsee mit knapp sechs Milliarden Pfund im Jahr. Gewerkschaftsvertreter Chris Kitchen meint lakonisch: „Es ist reine Politik. Vor 30 Jahren wollte man die Bergbauindustrie umbringen, nun hat man endlich die Gelegenheit dazu.“

Mit der Schließung der Kellingley Colliery bleiben 30 Millionen Tonnen Kohle unter Tag. Für viele Arbeiter beginnt die schwierige Suche nach neuen Jobs. Für 14 freie Stellen in einer Firma im benachbarten Hull langten 1000 Bewerbungen ein. Was bleibt, ist Verlust. Julie Johnson, die in der Zeche die Kantine betrieb, sagt: „Das war keine Arbeit, es war eine Art zu leben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2015)

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