Mit minus 160 Grad auf Siegeszug

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Katar verdankt ihm seinen Reichtum. Australien seine wachsende Bedeutung. Und die USA legen sich seinetwegen mit Russland und Europa an. LNG machte den Gasmarkt international.

Wien. Es ist eine aufschlussreiche Episode, die sich im März auf hoher See nahe den Bahamas zugetragen und von der das Wall Street Journal kürzlich berichtet hat. Der mit verflüssigtem Erdgas (LNG) beladene Tanker Rioja Knutsen befand sich auf dem Weg von den USA nach Portugal. Als plötzlich ein mexikanisches Stromunternehmen einen höheren Preis für die Ladung anbot, änderte Rioja Knutsen kurzerhand seinen Kurs Richtung Mexico. Und als das algerische Energieunternehmen Sonatrach davon erfuhr, reagierte es umgehend und entsandte einen Tanker mit Flüssiggas von Nordafrika nach Portugal.

Der Gashandel ist nicht nur flexibel geworden. Er ist inzwischen auch global. „Hat der internationale Gashandel im Jahr 2001 etwa 500 Mrd. Kubikmeter betragen, so sind es jetzt über 1000 Mrd. Kubikmeter“, erklärte Hossein Adeli, Generalsekretär des Gas Exporting Countries Forum (GECF) kürzlich im Interview mit der „Presse“. 1000 Mrd. Kubikmeter ist mehr als doppelt so viel, wie Europa im Jahr verbraucht.

Alle wollen diversifizieren

Gewiss, auch schon vorher wurde Gas exportiert. Aber der Großteil des Absatzes passierte doch im Inland. Der Teil aber, der exportiert wurde, floss über langfristige Verträge und unverrückbare Pipelines ins nahe gelegene Ausland.

Der Umbruch kam mit der Technologie, Gas auf minus 160 Grad Celsius zu kühlen bzw. zu verflüssigen und es zu Transportzwecken so auf sechs Hundertstel seines vorherigen Volumens zu reduzieren. Auf einmal bot sich nicht nur Exportländern die Möglichkeit, ihre Märkte zu diversifizieren. Auch Importländer erkannten die Chance, sich mit dem Bau von LNG-Terminals und Regasifizierungsanlagen aus der vormaligen Abhängigkeit eines Großlieferanten zu befreien.

Markantestes Beispiel dafür ist die EU, die angesichts der Abhängigkeit von russischem Gas binnen weniger Jahre Regasifizierungskapazitäten von etwa 220 Mrd. Kubikmeter Gas geschaffen hat. Das entspricht etwa einem Fünftel der globalen Kapazitäten zur Regasifizierung – fast so viel wie in Japan (26 Prozent).

Auch die Exportländer begannen zunehmend auf Flüssiggas zu setzen, um neue Märkte zu erreichen. Vorreiter und bis heute Nummer eins ist der kleine Golfstaat Katar, der sich nahezu ausschließlich auf Flüssiggas verlegt hat und damit zu einem Riesenvermögen gekommen ist. Drei Fünftel seiner Gasproduktion, die im Vorjahr 181 Mrd. Kubikmeter betrug, liefert der drittgrößte Gasstaat der Welt in Form von LNG um den Globus, wo das Land 30 Prozent des LNG-Marktes deckt.

Derzeit von arabischen Nachbarstaaten bedrängt, hat Katar am Dienstag angekündigt, seine Gasproduktion bis 2024 um 30 Prozent auf (in LNG gerechnet) 100 Mio. Tonnen zu steigern. Das Vorhaben ist nicht nur eine Kampfansage an Australien, das 200 Mrd. Dollar in seine LNG-Export-Anlagen investiert hat und ab 2018 Katar als weltweit größten LNG-Exporteur ablösen könnte. Katar werfe auch den Fehdehandschuh in den Ölstaat Saudiarabien, so Jonathan Stern, Gasexperte vom Oxford Institut for Energy Studies, zu Bloomberg. Katars Botschaft: „Wir werden LNG als Ersatz von Öl promoten”.

In der Tat konkurrieren die Gasexporteure zunehmend mit den Öllieferanten. Innerhalb der Gasexporteure aber verschärft sich der Wettbewerb zwischen den Verfechtern von Pipelines und denen von LNG-Tankern. Beträgt heute das Verhältnis 70 zu 30 zugunsten des Pipelinegases, so werde der LNG-Anteil bis 2040 auf 40 Prozent steigen, prognostiziert das GECF.

Die Braut Europa

Mittlerweile stehen 39 Importländer 19 Exportländern gegenüber. 478 LNG-Tanker waren Ende 2016 auf den Meeren unterwegs. Drei Viertel der Nachfrage kamen aus Asien, allen voran aus Japan, das als weltweit größter LNG-Importeur ein Drittel des globalen Angebotes schluckt.

Mit welchen Verwerfungen der Paradigmenwechsel auf dem Weltgasmarkt einhergeht, zeigte sich übrigens ab 2009. Als die USA zu dieser Zeit aufgrund der Gasförderung aus Schiefergestein unabhängig vom Import wurden, lenkte Katar seine für die USA bestimmten LNG-Tanker nach Europa um und bewirkte, dass dort Russlands Marktanteil auf 23 Prozent absackte. Als Katar dann infolge der Fukushima-Atomkatastrophe die starke LNG-Nachfrage in Ostasien zu bedienen begann, erlangte Gazprom 2013 in Europa einen Rekord-Marktanteil von 29,9 Prozent.

Apropos Europa: Seine großen Importkapazitäten hat der Kontinent nur zu einem geringen Teil genützt – in den ersten vier Monaten 2017 hat es 21,6 Mrd. Kubikmeter LNG importiert. Gerade auch deshalb wird es von Exporteuren wie eine Braut umgarnt und nun wieder in einen geopolitischen Konflikt gezogen. Konkret machen die USA kein Hehl mehr daraus, dass sie ihre neuen – und noch geringen – LNG-Exportkapazitäten (sie exportieren seit 2016 zum ersten Mal überhaupt Gas) in Europa absetzen möchten und auch deshalb gegen einen Ausbau der russischen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream sind. US-Präsident Donald Trump hat gestern in Polen das erste EU-Land auf seine Seite zu ziehen probiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2017)

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