Die Euro-Rettung sei durch den EU-Gipfel nicht vorangekommen, kritisiert Ökonom Hans-Werner Sinn. Gegen die deutsche Kanzlerin sei ein "Kesseltreiben" veranstaltet worden. Den Fiskalpakt bezeichnet er als ein "Placebo".
Die Euro-Rettung ist durch den Gipfel aus Sicht von Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn nicht vorangekommen - Deutschland werde aber zugleich immer stärker in die Krise hineingezogen. "Wall Street, die City of London und die Pariser Banken wurden gerettet. Wir stehen nun für die Rückzahlung der Schulden der südeuropäischen Banken ein", sagte der Volkswirt dem "Handelsblatt" (Montagsausgabe).
"Der deutsche Staat wird immer tiefer in die südeuropäische Krise hineingezogen, und die Investoren aus aller Welt, die sich verspekuliert haben, können sich noch in letzter Minute aus dem Strudel befreien", sagte Sinn. Die Finanzmärkte seien nun beruhigt, ja geradezu euphorisch, weil ein Weg gefunden wurde, das deutsche Vermögen zu verbrauchen. "Die finanzielle Stabilität Deutschlands ist indes gefährdet", warnte Sinn.
IW-Direktor widerspricht
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, hat der Einschätzung von Sinn widersprochen. Denn sie verkennt, was tatsächlich beschlossen wurde", sagte Hüther "Handelsblatt Online" am Montag. Es sei richtig, dass Europa das Bankenproblem in den Blick nehme, denn hier lägen die eigentlichen Probleme, "die sich aus einer Renationalisierung der Finanzsysteme in Form einer Desintegration zeigen können". Es handle sich um europaweit systemrelevante Banken, deshalb sei auch europäisches Handeln gefordert. "Als Ökonom sollte man gerade damit keine Schwierigkeiten haben."
"Es wurde ein Kesseltreiben veranstaltet"
Auf die Kanzlerin Angela Merkel sei vom Ausland mehr Druck ausgeübt worden, als je zuvor ein deutscher Kanzler nach dem Krieg habe aushalten müssen, führte ifo-Präsident Sinn weiter aus. "Es wurde ein Kesseltreiben veranstaltet. Um an unser Geld zu kommen, hat man Deutschland imperiale Gelüste vorgeworfen und uns den Hass der Völker prophezeit", sagte Sinn. Dem Druck habe Angela Merkel nicht mehr widerstehen können und sei eingeknickt. "Jetzt können die Bürger, an deren Vermögen man will, nur noch auf das Verfassungsgericht hoffen."
Auch den Fiskalpakt sieht Sinn nicht als Schutz vor Vermögensverlusten: "Der Pakt wird nur in Deutschland ernst genommen", sagte der Ökonom. "Er ist ein Placebo - wie seinerzeit der Stabilitäts- und Wachstumspakt." Ländern, denen der Kapitalmarkt misstraue, brauche man keine politischen Schuldengrenzen zu setzen. "Wenn man ihre Kreditaufnahme begrenzen will, reicht es, ihnen weniger öffentlichen Kredit zu geben."
"Müssen Euroraum gesundschrumpfen"
Erst vor wenigen Tagen hatte Sinn dafür plädiert, dass Griechenland und Portugal aus der Eurozone austreten: Die Länder seinen viel zu teuer und müssten durch eine starke Abwertung wieder wettbewerbsfähig gemacht werden. Die Preise müssten um mehr als 30 Prozent sinken, "das geht im Euro aber nicht", sagt Sinn. Auch den Verbleib von Malta und Zypern in der Euro-Zone stellt er in Frage. Er sprach von einem "Gesundschrumpfen". Nur so könne die europäischen Gemeinschaftwährung überleben.
(APA/Reuters)