Frankreich verzweifelt am „Austeritätsdogma“

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Paris verfehlt sein Defizitziel, bekommt von der EU mehr Zeit und die sozialistische Regierung versucht, einen Triumph herbeizureden: Dies sei „eine Wende in Europa“, so Finanzminister Moscovici. Nicht alle sehen das so.

Wien. Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici ist begeistert. Dass die EU-Kommission Paris mehr Zeit zur Haushaltssanierung geben wolle, sei das Ende des „Austeriträtsdogmas“, sagte er am Wochenende einem großen französischen Radiosender. Mehr noch: „Dies ist entscheidend, dies ist eine Wende in der Geschichte des europäischen Projekts seit der Einführung des Euro.“

Fragt sich nur, wer da eigentlich sprach. War es Moscovici, der ehemalige Kommunist? Oder Moscovizi, der pragmatische Sozialist, der auch von links für seine Politik angefeindet wird? War es Moscovici, der Europäer und Reformer, der ganz genau weiß, dass Frankreichs Arbeitsmarkt weiter liberalisiert werden muss? Oder der Innenpolitiker Moscovici, der lautstark gegen Privatisierungen poltert und vor allem eines fürchten muss: den Zorn der Wähler?

Vieles spricht dafür, dass da Moscovici, der Innenpolitiker, sprach, der sich ein wenig Luft verschaffen wollte. Denn von „einer Wende in der Geschichte des Europäischen Projekts“ kann wohl wirklich keine Rede sein.
Viel mehr ist die Tatsache, dass die EU-Kommission Frankreich nun doch bis 2015 Zeit geben will, um das Defizit auf drei Prozent zu reduzieren, vor allem eines: ein Beweis für das Versagen einer Regierung, die ihre eigenen Ziele nicht erfüllt. Ein Versagen, das der Finanzminister zu verantworten hat – mehr noch als sein Chef François Hollande, der (nach aktuellen Umfragewerten) derzeit der unbeliebteste Präsident der Fünften Französischen Republik ist. Frankreich ist freilich nicht allein: Spanien soll noch mehr Zeit bekommen (bis 2016). Aber Madrid hat im Gegensatz zu Paris auch mit einer handfesten Rezession zu kämpfen.

Laut der neuesten Prognose der EU-Kommission erholen sich EU und Euroraum langsamer als erwartet. Für 2013 geht Brüssel von einem Rückgang des BIPs um 0,4 Prozent in der Eurozone und 0,1 Prozent in der EU27 aus. Für 2014 erwartet man dann ein Eurozonenwachstum von 1,2 Prozent (1,4 in der gesamten EU).

„Orthodox neoliberale EU“

Dass der Kurs der Haushaltskonsolidierung angesichts dieser Zahlen nicht zur Verhandlung steht, ließ auch EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn die Franzosen wissen. Dieser werde lediglich verlangsamt – auch weil die bisherigen (kleinen) Erfolge der Finanzpolitik der Eurostaaten ein Plus an Glaubwürdigkeit beschert hätten. Pierre Moscovici sammelt zwar gern Linkspopulismus-Punkte, indem er die „orthodox neoliberale“ EU-Kommission kritisiert – am Ende wird er sich aber beugen müssen. Das wird ihm auch sein deutscher Amtskollege Wolfgang Schäuble bestätigen können, wenn beide sich heute, Dienstag, in Begleitung ihrer Notenbankchefs in Berlin zum deutsch-französischen Wirtschaftsrat treffen.

Schäuble (der die Pariser Regierung in der Öffentlichkeit unterstützt) steht unter Druck der Hardliner in der eigenen Partei sowie der FDP, die den Sozialisten in Frankreich die Daumenschrauben anlegen wollen. Außerdem steht die Bundesrepublik im Wahljahr keineswegs perfekt da. Die EU erwartet für heuer nur ein Miniwachstum von 0,4 Prozent. Auch Berlin müsse „seine Hausaufgaben machen“, sagte EU-Kommissionschef José Manuel Barroso der „Welt am Sonntag“: „Selbstzufriedenheit wäre gefährlich für Deutschland.“ In bestimmten Bereichen (etwa bei Dienstleistungen und Infrastruktur) müsse auch die Konjunkturlokomotive der Eurozone „sich stärker öffnen als bisher“.

Neben der relativen Stärke seines Landes hat Schäuble aber einen entscheidenden Vorteil gegenüber seinen Kollegen in Paris. Konservative Politiker können sich glaubhafter für einen Konsolidierungskurs starkmachen als Sozialdemokraten (wie SPD-Mann Peer Steinbrück) oder gar Sozialisten (wie Moscovici und Hollande).

Ab morgen muss er wieder sparen

Die Regierung in Paris war mit einem klassisch linken Programm ins Amt gewählt worden: mehr Jobs vom Staat, mehr Wohlfahrt, höhere Steuern. Den letzten Teil hat Hollande zwar teilweise umgesetzt, ist aber mit seinem Projekt der 75-prozentigen Einkommensteuer bis jetzt gescheitert. Für die übrigen Versprechungen fehlt schlicht das Geld. Daher auch der „Kampf gegen die Austerität“.

Solange aber das EZB-Mandat unangetastet und Eurobonds ein Wunschtraum bleiben, wird jede Euroregierung (in Paris oder anderswo) sich mit der neuen Realität abfinden müssen: Die EZB schert sich nur um den Erhalt des Euro und niedrige Inflation (beides klappt derzeit) – nicht um Politikerbegehren. Mag sein, dass Moscovici gestern das Wort „Austerität“ begraben durfte – aber ab heute muss er trotzdem wieder sparen.

Auf einen Blick

Frankreich bekommt von der EU-Kommission mehr Zeit, um sein Defizitziel zu erreichen, der Finanzminister spricht schon von einem „Ende der Austerität“. Aber mit Euro und EZB wird die Zeit der beliebigen Währungsabwertungen zur Erfüllung von Wahlversprechen nicht wiederkehren. In diesem Sinn ist der Sparkurs in Europa tatsächlich „alternativlos“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2013)


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